048 - Der rote Affe
erschießen.“
„Das kommt nicht in Frage“, sagte Carol fest. „Er ist mein Bruder.“
„Verdammt noch mal“, brüllte Jeff. „Her mit dem Gewehr, wir sind ohne Boot verloren.“
Doch Carol gab ihm das Gewehr nicht. Er versuchte es ihr zu entreißen, doch geschmeidig wie eine Katze bückte sie sich und glitt unter seinen Armen hinweg. Jeff richtete sich fluchend auf und sah resignierend den Booten nach.
„Am liebsten würde ich dich verprügeln, Carol“, sagte er wütend. „Wir haben keinen Proviant, nur ein verdammtes Gewehr und sind hundert Kilometer von der nächsten Ansiedlung entfernt.“
„Wir werden es schon schaffen“, sagte Carol tonlos.
„Wir hatten noch eine Chance, aber nein, es ist ja dein Bruder“, sagte Jeff höhnisch.
„Kannst du mich denn nicht verstehen“, schrie Carol. „Ja, er ist mein Bruder, und ich will nicht, daß er stirbt.“
„Es ist dir lieber, daß wir beide sterben werden, was?“
„Natürlich nicht“, sagte Carol.
„Du hast wahrscheinlich keine Ahnung, was es bedeutet, hundert Kilometer durch den Urwald zu laufen.“
„Wir schaffen es“, sagte sie stur.
„Vielleicht“, sagte Jeff. „Gibst du mir jetzt das Gewehr?“
Sie nickte und hielt ihm die Schnellfeuerwaffe hin. Nach einigen Minuten hatte sich seine Wut gelegt. Carol ging hinter ihm. Langsam wurde es hell.
Hundert Kilometer Marsch liegen vor uns, dachte Jeff. In der Zwischenzeit kann sich Tucker aus dem Staub machen. Falls wir überleben sollten, hat er einige Tage Zeit, seine Flucht vorzubereiten.
Er seufzte und ging weiter. Das vordringlichste Problem war die Beschaffung von Nahrung. Es würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als ein Tier zu schießen.
„Ich kann nicht mehr“, sagte Carol. „Legen wir eine kurze Rast ein.“
Unwillig stimmte Jeff zu. Nach einer Viertelstunde gingen sie weiter. Sie fanden einige Beeren, von denen Jeff wußte, daß sie ungiftig waren.
Sie hatten Glück, als ihnen ein Rudel Spießhirsche über den Weg lief. Jeff riß das Gewehr hoch und schoß. Eines der Tiere brach zusammen. Er hatte es nicht sehr waidgerecht erlegt, da er auf Dauerfeuer geschaltet hatte.
Fluchend machte er sich mit seinem Taschenmesser daran, das Tier zu enthäuten und auszunehmen. Sie brieten eine Keule über einem rasch entfachten Feuer. Dabei verloren sie einige Stunden Zeit, und als das Fleisch fertig gebraten war, stellten sie fest, daß es scheußlich schmeckte. Mit Todesverachtung würgten sie einige Bissen hinunter, nahmen den Rest der Keule mit und gingen weiter.
Dann kam die Nacht. Vor Erschöpfung schliefen sie einige Stunden. Als der Tag heran dämmerte, wunderte sich Jeff, daß sie noch am Leben waren.
Sie kamen nur langsam weiter. Ihre Beine waren mit Blasen bedeckt, die Kleider hingen schon lange in Fetzen um ihre Körper, die aus unzähligen Wunden bluteten und von Moskitos zerstochen waren.
Am späten Nachmittag fiel Carol um. Sie war ohnmächtig geworden. Ihr Körper wurde von Fieberschauern geschüttelt. Jeff blieb vor ihr stehen und sah sie finster an. Schließlich hob er sie auf und trug sie zum Flußbett hinunter, legte sie auf den Rücken und netzte ihr Gesicht mit Wasser.
Er setzte sich nieder und beobachtete sie, doch sie wachte nicht aus ihrer Ohnmacht auf. Fiebernd warf sie sich hin und her und stöhnte.
Jeff stand mißmutig auf und ging ziellos den Fluß entlang. Plötzlich stutzte er, kniff die Augen zusammen und ging rascher. Er hatte sich nicht getäuscht. Auf der Böschung lag ein Rindenkanu, wie es die Indianer verwendeten. Das Boot war tadellos intakt, wie sich Jeff sofort überzeugte. Er lief zu Carol zurück, die noch immer nicht aufgewacht war, hing sich das Gewehr über die Schulter und hob das Mädchen hoch.
Langsam ging er zum Boot, legte Carol hinein und schob das Kanu vorsichtig über die Böschung, bis es halb im lehmfarbenen Wasser lag. Er schob es noch weiter hinein, watete einige Schritte neben dem Boot, bis ihm das Wasser bis zu den Knien ging, dann schwang er sich ins Boot, ergriff das Paddel und ruderte in die Mitte des Flusses.
So schwach hatte er sich noch nie in seinem Leben gefühlt. Nach wenigen Minuten wurden seine Arme gefühllos, seine Hände waren aufgeplatzt und eine einzige Wunde. Carol stöhnte hinter ihm, doch er hatte keine Zeit, sich um sie zu kümmern. Verbissen ruderte er weiter. Das Kanu lag gut im Wasser, und er kam rasch vorwärts.
Nach einigen Stunden wurde es dunkel, und er steuerte das Ufer an. Er
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