048 - Die Bande des Schreckens
haben.« Nach einer Weile fragte er: »Was für Dokumente wollte Henry von Ihnen unterschrieben haben?«
»Woher in aller Welt wissen Sie das?«
»Haben Sie irgend etwas unterschrieben?« »Noch nicht.«
»Also hat man Sie aufgefordert, zu unterschreiben, nicht wahr?«
»Ich weiß wirklich nicht, worum es sich eigentlich handelt, aber anscheinend ist alles ganz in Ordnung. Mr. Henry zeigte mir zwei Papiere. Das eine bevollmächtigt ihn, mich zu vertreten, das andere ist eine formelle Erklärung...«
»Sie werden keines von beiden unterschreiben! Verstehen Sie?«
»Aber Mr. Henry ist Rechtsanwalt und soll mich vertreten.«
»Er wird Sie nicht vertreten, und Sie werden nicht unterschreiben -ist das klar?« fragte der Wetter streng und zog einen zusammengefalteten Papierbogen aus der Tasche, den er auf dem Tisch ausbreitete. »Ich will Ihr Vertrauen in mich auf die Probe stellen. Dieses Formular enthält eine Bevollmächtigung für Wilkins, Harding und Bayne, die Anwälte meines Vaters, und ich wünsche, daß Sie sie unterschreiben. Ich sorge dafür, daß sie noch heute abend abgeliefert wird. Ich glaube, sie ist so ziemlich identisch mit der Vollmacht, die Henry unterschrieben haben wollte. Eine Ermächtigung, Sie zu vertreten. Mit anderen Worten, Sie legen Ihre Angelegenheiten in die Hände einer Anwaltsfirma, die über jeden Zweifel erhaben ist.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Ja.«
»Dann ist Mr. Henry...«
»Mr. Henry ist nicht über jeden Zweifel erhaben, aus Gründen, die ich Ihnen augenblicklich nicht erklären kann. Wollen Sie es für mich tun, Nora?«
Sie nahm den Federhalter, der auf dem Tisch lag, tauchte ihn ins Tintenfaß und unterschrieb das Dokument, ohne es zu lesen.
»Es wird einen schrecklichen Auftritt geben, wenn ich Miss Revelstoke erzähle, was ich getan habe.« »Sie brauchen ihr bis morgen nichts zu sagen. Wann sollten Sie Henrys Schriftstücke unterzeichnen? Heute abend? Die Leute arbeiten schnell! Glauben Sie, daß Sie, wenn Sie sich Mühe geben, eine Lüge sagen können?«
Sie lächelte.
»Ich möchte nicht lügen, aber wenn Sie meinen...«
»Sagen Sie Miss Revelstoke, Sie hätten sich entschlossen, Ihre Angelegenheit in die Hände der Rechtsanwälte Ihres Vaters zu legen, und diese würden sich mit Henry in Verbindung setzen. Um Ihre Handlungsweise zu rechtfertigen, können Sie hinzufügen, daß Sie es für besser erachteten, wenn ein Außenstehender Ihre Interessen wahrnimmt, und Henry bei der Abfassung des Testaments ja als Zeuge fungierte. So...« Zwischen ihnen auf dem Tisch lag eine kleine Handtasche, die er ihr jetzt lächelnd in die Hand drückte. »Darf ich Ihnen, da Sie nun mal eine Handtasche verloren haben müssen, diese sozusagen zurückerstatten? Denn - der Herr, der Sie draußen erwartet, wird ungeduldig!«
»Wann kann ich Sie wiedersehen, Mr. Long? Die ganze Sache beunruhigt mich.«
Er erfaßte ihre Hand und schaute ihr gerade in die Augen.
»Ich werde in den nächsten Tagen wahrscheinlich nie sehr weit von Ihnen entfernt sein. Sie gehen ungemütlichen Zeiten entgegen. Es hat keinen Zweck, Ihnen das zu verschweigen. Aber Sie gehören zu den Menschen, die viele Hindernisse überwinden können. Es mag für Sie eine Beruhigung sein, zu wissen, daß die achtzehntausend Polizisten Londons zu Ihrer Verfügung stehen, und daß ein armseliger Inspektor Ihretwegen graue Haare bekommen wird. Diese Umstände dürften es Ihnen etwas leichter machen, durchzuhalten.« Einen Augenblick später stand sie wieder draußen in den Verkaufsräumen. Neugierig versuchte sie zu entdecken, wer sie beobachtete. Doch anscheinend achtete jedermann nur auf sich selbst. Plötzlich jedoch sah sie, wie ein Mann verstohlen nach ihr schaute. Sofort wandte er den Blick ab, aber sie fühlte, daß er sie weiterhin beobachtete.
Sie besuchte einige Abteilungen und machte ein paar Einkäufe. Jedesmal, wenn sie sich umsah, war der Herr nur wenige Schritte von ihr entfernt.
Warum wurde sie beobachtet? Welche Gefahr drohte ihr? Aus irgendeinem bemerkenswerten Grund beunruhigte sie Longs Warnung, die sie normalerweise in panikartigen Schrecken versetzt hätte, nicht sehr, und sie fühlte sich stark genug, die unvermeidliche Mißbilligung ihrer Herrin als das geringste der bevorstehenden Übel anzusehen.
Sie wartete deshalb auch nicht, bis Miss Revelstoke sie an die Dokumente erinnerte, sondern ging sofort zu ihr. Sie fand sie im Salon, mit einer Handarbeit beschäftigt. Bei ihrem Eintritt sah die alte
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