0481 - Im Schlund des Dreitöters
kantiger.
Auch diese Tür mußte ich aufhebeln, tat es mit einem heftigen Ruck und tauchte in das Haus.
Es war verdammt düster. Den Lampenstrahl ließ ich wandern. Wie eine helle Speerspitze stach er in die Ecke und traf das Gesicht einer dort geduckt hockenden Gestalt.
Es war die alte Frau - und die Mumie!
***
Neben mir atmete Wladimir Golenkow scharf aus. »Verdammt, ich hatte es gewußt. Ich habe mich nicht getäuscht. Das sind Mumien.«
Die Frau war in Lumpen gehüllt. Sie hatte uns ihr Gesicht zugewandt, ohne uns wahrscheinlich zu sehen, denn Augen entdeckte ich keine in dem von Falten und spröder Haut durchzogenen Oval.
Etwas zögernd ging ich auf sie zu, während Wladimir zurückblieb, um mir den Rücken zu decken.
Wir hatten die Tür nicht geschlossen. Wind drang in den Raum und wehte uralten Staub hoch.
Nach zwei Schritten bewegte die Frau oder die Mumie die Arme. Ich hörte ein feines Knirschen, als würde Sand aus ihren Knochen oder Gelenken rieseln.
Auch wenn sie nicht gefährlich war, konnte ich mich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren.
Ich hatte sie vor kurzem laufen sehen. Nun aber sah sie aus, als könnte sie sich nicht einmal erheben.
Als sie den Kopf hob, leuchtete ich ihr ins Gesicht. Es war ein Antlitz, das mich abstieß und gleichzeitig auch berührte.
Uralt, aber nicht verwest. Von Siechtum gezeichnet und doch auf irgendeine Art und Weise lebendig. Eine Haut wie dünnes Papier, die sich auch an den Händen nicht anders zeigte.
War sie wirklich eine lebende Tote?
Einen halben Schritt vor ihr blieb ich stehen. Ich hatte Angst davor, die Gestalt zu berühren. Schon der geringste Druck konnte dafür sorgen, daß sie zusammenfiel. Dies wollte ich nicht riskieren.
Die Mumie bewegte den Kopf. Auf mich wirkte sie so, als wollte sie mit mir sprechen. Es dauerte eine Weile, bis sie etwas hervorbrachte. Und gleich der erste Satz riß mich fast von den Beinen.
»Salomo, ich spüre dich…«
Ich schloß für einen Moment die Augen. Wieso verstand ich die Worte, und weshalb hatte sie mich als Salomo bezeichnet? Ich war nicht der König Salomo, ich hieß auch nicht Salomo, aber es gab zwischen ihm und mir eine Verbindung.
Geschaffen durch das Kreuz!
Konnte ich sie deshalb verstehen? War mein Kreuz gewissermaßen ein Übersetzer?
Ich wollte es wissen und zog an der Kette, so daß mein Kreuz frei lag.
Auf den flachen Handteller legte ich es so hin, daß die Mumie es einfach sehen mußte.
Sie senkte den Kopf, weil sie meine Bewegung irgendwie gespürt oder auch gesehen haben mußte.
»Kennst du es?« fragte ich.
Eine Antwort gab sie nicht, starrte statt dessen das Kreuz an und flüsterte nach einer Weile den Namen Salomo.
»Was ist damit?«
»Er sollte ihnen Rat geben, er sollte uns Rat geben. Wir riefen sein Orakel an, denn es besagte, daß er und die Königin von Saba wissen, wo wir die Arche finden können. Das Orakel hat geschwiegen, Salomo hat uns nichts gesagt, so gingen wir zu dem Götzen, um von ihm eine Wegschrift zu bekommen. Und er gab sie uns. Er führte uns in dieses Tal, wo wir verflucht wurden. Ja, verflucht wurden«, wiederholte sie sich. »Wir hatten dem Götzen gedient und waren nicht würdig, die Arche zu finden. So mußten wir denn hierbleiben und dies für alle Zeiten. Dem Götzen zu dienen, wenn er sich zeigte, war unsere Pflicht. Nur der Götze in seiner schrecklichen Dreigestalt war unser Herr. Wir haben das Wahre verraten und tragen die Buße der Ewigkeit. Ùnd jetzt spüre ich seine Nähe. Es ist wie damals gewesen, als wir das Orakel befragten. Der Odem des Weisen streift mich. Wer bist du? Bist du der König aus dem Reich der glücklichen Seelen?«
»Nein, der bin ich nicht.«
Sie hob den Kopf an. Noch immer sah ich nichts von ihren Augen. »Wer bist du dann? Weshalb kamst du?«
»Ich wollte euch finden.«
»Die Zeit hat uns vergessen, die Welt auch, nur der Götze erinnert sich noch an uns und löste den alten Fluch ein. Immer und immer wieder. Wären wir ihm damals nicht gefolgt, hätten unsere Seelen längst Ruhe gehabt. So sind wir verflucht, denn es gelingt uns nicht, die Macht des Götzen zu brechen. Wir werden immer wieder die gleiche Hölle erleben wie zu Beginn. Nacht für Nacht…«
»Was ist das für eine Hölle?«
»Dann erscheint er in einer Lavawolke, die über uns zusammenfällt und uns verbrennt. Aber wir werden wieder unter dem Gestein hervorkriechen und unser Dasein weiterführen. So lange, bis es die Welt und die Zeit nicht
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