0481 - Im Schlund des Dreitöters
»Das ist einfach zu fantastisch, aber kannst du dir vorstellen, daß wir zwei Zeitleben gleichzeitig erleben. Die Vergangenheit und die Gegenwart.«
»Nein, das kann ich nicht, aber ich kann mich damit abfinden, wenn du das meinst.«
»Schon besser.«
»Weiter im Text.«
»Ich habe die Leute gesehen, die hier vegetieren. Es sind meiner Ansicht nach Tote. Lebende Leichen, auch Mumien, was immer du willst. Die leben und sind gleichzeitig gestorben. Klingt zwar irre, kommt aber der Wahrheit bestimmt nahe.«
»Und die suchen jetzt die Arche?«
»Möglicherweise sind sie dazu verflucht.«
Ich nickte bedächtig. »Das kann sogar hinkommen. Wobei man davon ausgehen muß, daß der Dreitöter, dieser Götze, ihr eigentlicher Anführer ist.«
»Gut kombiniert.«
»Und weshalb sind deine drei Agenten so plötzlich verschwunden?«
»Das weiß ich nicht genau. Da kann ich nur raten. Möglicherweise sind sie in den Umbruch der Zeiten hineingeraten. Ich weiß es nicht genau, John.«
»Es hat auch Zeugen gegeben«, warf ich ein.
»Klar, die Meldungen haben unsere Zentrale erreicht. Hier leben Nomaden, wir sind im Grenzgebiet. Hier stehen sich die Parteien gegenüber. Kurden, Soldaten, fanatische Moslems, das hier ist ein Pulverfaß, obwohl es so einsam liegt. Ich kann mir gut vorstellen, daß dieses Gebiet von mehreren Seiten aus unter Kontrolle steht. Auch von unserer natürlich.«
»Und auch unter magischer.«
»Das versteht sich.« Wladimir bewegte seine Füße und schüttelte sich gleichzeitig. »Jetzt geht es mir wieder besser. Wenn ich nur wüßte, weshalb mich diese Mumien an ein Rad gebunden haben.«
»Um dich rollen zu lassen.«
»O wie schlau.«
Ich grinste nicht einmal. »Es ist mein voller Ernst, Wladimir. Um dich rollen zu lassen. Vielleicht in ein Feuer, was weiß ich?«
»In den Schlund?«
»Auch.«
»Ja, wir sollten etwas unternehmen. Am besten wäre es natürlich, wenn wir den Dreitöter stellten und ihm den Garaus machten. Dann kann uns alles andere gestohlen bleiben - oder?«
»Die Idee ist nicht schlecht.«
»Also los.«
Er wollte zur Tür gehen, aber ich streckte meine Hand aus. »Nicht so eilig, mein Junge. Ich will von dir noch wissen, wie viele Mumien dich überfallen haben?«
»Das kann ich nicht sagen. Zehn waren es schon.«
»Dann sind sie in der Überzahl. Ich habe eine alte Frau gesehen. Sie kam aus dem Haus gegenüber, und auch sie erinnerte mich an eine Mumie. So wie sie aussah und auch ging.«
»Ja, Frauen waren wohl auch dabei.«
»Aber weshalb sind die Tiere normal, wenn es die Menschen schon nicht sind?«
»Frag mich das später in Moskau!«
»Beim Wodka?«
»Richtig.«
Ich wechselte wieder das Thema. »Von dieser alten Frau weiß ich. Deshalb wäre ich dafür, daß wir uns diese komische Person zuerst anschauen.«
»Ich habe nichts dagegen.«
Der Russe ließ mir den Vortritt, und ich öffnete behutsam die Tür, die ich wieder anheben mußte.
Es hatte sich nicht viel verändert. Leer lag das vor uns, was wir nicht einmal als Straße bezeichnen konnten. Es war praktisch die freie Fläche zwischen den alten Steinbauten mit den schiefen Dächern.
»Wenn du weiter in die Berge hineingehst, findest du noch Höhlen, in denen sie auch wohnen.«
»Wer? Die Mumien?«
»Sicher.«
Hundertprozentig überzeugt war ich von der Sache noch nicht, doch der Russe hatte auch keinen Grund, mich anzulügen. »Die halten sich versteckt, John«, flüsterte er. »Das spüre ich.«
Ich deutete auf das Haus gegenüber. »Sehen wir uns das mal an.«
Golenkow blieb neben mir. »Ist irgendwie verrückt, daß es einen Tunnel oder eine Verbindung zwischen einem Spiegel und dieser Umgebung hier gibt. Schwarze Magie, sie ist wirklich interessant.«
»Und gefährlich.«
»Auch das.«
Ich war vor dem Haus stehengeblieben. Es unterschied sich in nichts von den anderen Bauten. Vielleicht war es etwas kleiner. Von einer Stelle an der Seite aus konnte ich auf das Dach schauen und sah dort einige Löcher.
Der Wind war kühler geworden. Er strich sanft in das Tal. Am Himmel kämpfte die Sonne vergeblich gegen die anrückenden Schatten der Dämmerung an.
Fast wäre mir das Bild friedlich vorgekommen, wenn dieser Druck nicht gewesen wäre, der über allem lag. Ich spürte ihn und konnte ihm auch nicht entwischen.
Neben mir hatte Wladimir seine Pistole gezogen. Sein Gesicht mit den etwas hoch- und vorstehenden Wangenknochen wirkte in diesen Augenblicken unter der Konzentration noch
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