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0485 - Die Furie

0485 - Die Furie

Titel: 0485 - Die Furie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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sonst. Sie schien ein wenig nervös zu sein, und in ihm regte sich kurzzeitig Schadenfreude, als er sich vorstellte, sie sei bei ihrem Raubzug in der letzten Nacht endlich einmal nicht ganz unbeobachtet geblieben und deshalb nervös. Aber so etwas konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Seine mörderische Assistentin mit dem schwarzen Blut in den Adern beging keine solchen Fehler. Ihre Unruhe mußte einen anderen Grund haben.
    Textor ahnte nicht, daß er mit seiner Vermutung dennoch ziemlich nahe dran lag.
    »Du solltest dich auf unseren Auftritt konzentrieren«, sagte er. »Wenn du hier wie ein nervöses Handtuch herumtanzt, verdirbst du am Ende alles, weil du deinen ›Einsatz‹ verpatzt.«
    Sie grinste ihn an. Kurzzeitig ließ sie ihre Eckzähne wachsen und dann wieder schrumpfen. »Glaubst du im Ernst, daß mir so etwas passiert? Achte lieber auf dich selbst. Wieviel Restalkohol von gestern hast du noch im Blut?«
    Er starrte sie finster an. »Überhaupt nichts. Ich bin kein Säufer. Du solltest diese schwachsinnigen Anwürfe allmählich lassen. Die ständigen Wiederholungen wirken peinlich - für dich.«
    »Ich könnte dein Blut trinken, um auszuprobieren, ob du die Wahrheit sagst«, kündigte sie an.
    »Vorher bringe ich dich um«, warnte er sie. »Glaube nicht, daß ich völlig wehrlos bin.«
    »Natürlich könntest du mich töten«, erwiderte sie spöttisch. »Ich bin sogar sicher, daß du jahrelang gedanklich daran gefeilt hast, wie du mich ausschalten und trotzdem überleben kannst. Aber du gehst mit mir unter, und dein Ende, Tex, wird wesentlich schrecklicher sein als meins. Allein deswegen tötest du mich nicht. Deshalb läßt du mich gewähren. Nicht wahr?«
    Andere erleben die Folter der Hölle erst nach ihrem Tod, dachte er erbittert. Ich erlebe die Hölle schon auf Erden. Oder - zumindest das Fegefeuer.
    Er wandte sich dem großen Garderobenspiegel zu und überprüfte den korrekten Sitz seines Bühnenanzugs. Erst als er hundertprozentig zufrieden war, verließ er die Garderobe. Er schob Lucy einfach zur Seite und trat auf den Gang hinaus. Wenig später betrat er die Bühne hinter dem geschlossenen Vorhang. Er spähte durch den Spalt hindurch in den Zuschauerraum. Das Licht brannte bereits, aber noch war alles ruhig und leer. Der Einlaß begann erst in einer halben Stunde. Zeit genug, noch einmal alles in Gedanken durchzuspielen, sich auf die zu erwartenden Reaktionen der Zuschauer vorzubereiten. Jedes Publikum reagiert anders. Die kühlen Nordländer mußte er anders packen als die heißblütigen Mittelmeerbewohner. Schrecken und Wünsche, Märchen und Mythen unterscheiden sich in manch wichtigen Details. In China würde er niemals einen Drachen als die Inkarnation des Bösen präsentieren dürfen, während derselbe Drache in Europa oder gar in den USA unbedingt erschlagen werden mußte, weil er sonst die schöne Prinzessin auffraß. Im asiatischen Raum würde er ihr Glück bringen.
    Phil Textor sah sich auf der Bühne selbst um. Sie war groß genug -natürlich, sonst würde er hier weder auftreten können noch wollen. Er brauchte die Weiträumigkeit.
    Dekoration gab es nicht. Er würde sie erschaffen mit der Kraft der Illusion, wie alles, was er auf der Bühne tat, nichts als Illusion war.
    Er fühlte, daß Lucy lautlos hinter ihn trat.
    »Einen gibt es, der die Illusionen durchschaut«, raunte sie. »Er ist gefährlich; er ist unser Feind. Er könnte die Vorstellung sprengen, denn er besitzt Macht.«
    Textor wirbelte herum. »Größere Macht als du?« stieß er beunruhigt hervor. So gern er der Abgesandten der Hölle eine Niederlage gegönnt hätte - es wäre auch das Ende seiner Karriere. So etwas durfte nicht geschehen.
    »Er besitzt sehr große Macht«, wiederholte Lucy nur. »Und er kann alles zerstören, woran dir liegt. Deine Karriere, deine Träume, deine Existenz -dein Leben. Er wird es tun, bedenkenlos. Allein um mich zu vernichten, sobald er meine Nähe spürt.«
    »Könnte er das wirklich?«
    »Er kann es, und er wird es auch tun«, sagte Lucy. In ihrer Stimme schwang jetzt die Unruhe mit, die Textor vorhin schon unterschwellig an ihr gespürt hatte. Aber Lucy ließ ihn nicht merken, daß sie nicht wirklich überzeugt war, der Fremde könne ihr Schaden zufügen. Darüber konnte sie sich erst sicher sein, wenn sie wußte, mit wem sie es zu tun hatte. Aber sie warnte Textor vor. Sie präparierte ihn gewissermaßen. »Du solltest vielleicht etwas unternehmen, um ihn uns vom

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