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0485 - Die Furie

0485 - Die Furie

Titel: 0485 - Die Furie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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irrlichternde Funken aus seinen Handflächen regnen. Sie wurden zu wirbelnden Feuerrädern, die nur langsam wieder verblaßten. »Liebe Freunde«, begann er, und seine Stimme war bis in den letzten Winkel des Saales zu hören. »Ich freue mich, daß Sie alle gekommen sind, um mit mir durch eine märchenhafte Welt der Wunder zu reisen. Eine Welt, die wunderschön ist, aber auch unglaublich gefährlich sein kann. Ja, meine Freunde. Magie ist gefährlich. ›Für wen?‹, höre ich Sie jetzt fragen. Für den Illusionisten, der Gefahr läuft, sich unsterblich zu blamieren, wenn einer seiner Tricks dummerweise mal nicht funktioniert? Ich versichere Ihnen, daß das bei mir nicht der Fall ist. Ich arbeite nicht mit faulen Tricks, wie viele meiner Kollegen. Ich verwende wirkliche Magie. Sehen Sie, eine Taube aus dem Ärmel flattern zu lassen, ist ein ganz primitiver, einfacher Trick. Auch die vielen lustigen Sachen, die man mit Kartenspielen anstellen kann. Aber, seien wir doch mal ehrlich, diese Tricks stehen in jedem Handbuch für Zauberlehrlinge, das Sie in einer gutsortierten Bibliothek ausleihen können. Wollen Sie das? Nein. Deshalb sind Sie hierher gekommen.«
    Er machte eine Kunstpause und fuhr dann etwas dramatischer fort: »Hierher, zu Mister Merlin und seiner Magic-Show.«
    Er griff nach seinem Zylinder und schwenkte ihn heftig durch die Luft, während er sich verneigte. Dann drehte er ihn so, daß die Öffnung des Hutes halb zum Publikum zeigte.
    »Meine Freunde«, sagte er. »Wenn Sie jetzt von mir erwarten, daß ich eine endlose Kette von miteinander verknoteten Schleiern aus diesem Hut ziehe, werden Sie enttäuscht werden. Ich werde auch kein Kaninchen daraus hervorzaubern. Es ist nämlich gar keins drin. Es ist überhaupt nichts drin.« Er faßte mit der anderen Hand hinein - und zuckte wieder zurück. »Halt, da ist doch etwas«, entfuhr es ihm. »Eine ziemlich heiße Sache, scheint mir! Jedenfalls kein Kaninchen; solche einfachen Dinge überlasse ich den Kollegen. Aber wir wollen doch mal sehen, was das hier…«
    Seine Stimme wurde leiser; er griff erneut in den Zylinder und zog jetzt etwas hervor. Es zappelte, flatterte, fauchte. Es entpuppte sich als ein kleiner Drache, der, kaum daß er am langen Schlangenhals ins Freie gezogen wurde, seine stacheligen Flügel entfaltete, wild zappelte und flatterte und aus dem aufgerissenen Rachen Feuer spie. Damit nicht genug, wuchs er noch während des Herausziehens zu immenser Größe. Hatte er gerade noch in den Zylinder gepaßt, entwickelte er Augenblicke später bereits die Ausmaße eines Schäferhundes, dann eines Pferdes, und wuchs immer noch weiter an. Ein heftiger Windzug traf die Zuschauer in den vordersten Rängen, als die wachsenden Schwingen die Luft peitschten. Der Drache kreischte, schleuderte Flammenbahnen in alle Richtungen. Längst hatte er sich der Hand des Zauberers entwunden und stieg zur Bühnendecke empor. »Zurück mit dir in den Hut!« schrie der Zauberer. »Gehorche, elende Kreatur!« Doch der Drache flog jetzt aus dem Bühnenfach heraus und zog seine Runden über den Zuschauern. Sein Feueratem streifte eine der Logen und ließ die darin sitzenden Menschen erschrocken zurückweichen. Dann jagte der Drache im Sturzflug auf die Zuschauer nieder und schlug seine Klauen um eine junge Frau, die in der ersten Reihe saß. Er riß sie empor, flatterte mit ihr noch einmal eine Runde durch den Saal und setzte dann im Düsenjägertempo auf der Bühne zur Landung an. Kaum angekommen, verwandelte er sich in einen gefleckten Leoparden, der sich schnurrend zu Füßen der entführten Frau zusammenrollte, ausgiebig gähnte und dann den Kopf auf die Pfoten legte, die Augen schloß - und offenkundig einschlief. Die Frau zeigte keine Spur von Angst.
    ›Mister Merlin‹ setzte groß wild jägerhaft einen Fuß auf den Leoparden, reckte die Arme hoch und verneigte sich.
    »Finden Sie nicht auch, meine Freunde, daß ein Kaninchen wirklich zu einfach gewesen wäre?«
    Und damit hatte er die Zuschauer schon im Griff.
    ***
    »Fantastisch!« raunte Nadine Lafitte, die sich erschauernd an ihren Mann gedrängt hatte, als der Drache seine Kreise über dem Publikum zog. Selbst Zamorra war von der perfekten Illusion beeindruckt. Natürlich war er mit Hilfe des Amuletts in der Lage, die Täuschung zu durchschauen, aber für jeden anderen mußte dieses Ungeheuer lebensecht wirken. So lebensecht wie das Bühnenbild, in dem es von Kleinlebewesen wimmelte wie in einem

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