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0485 - Die Furie

0485 - Die Furie

Titel: 0485 - Die Furie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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zulassen und war deshalb jetzt gezwungen, etwas zu tun, was sie eigentlich stets vermieden hatte und das ihre sorgfältige Tarnung schädigen konnte - sie mußte sich jetzt auf der Stelle ein neues Opfer beschaffen um durchzuhalten. Es wäre ein bitterer Fehler, die eigene Substanz zu räubern. Das schwächte sie so sehr, daß sie bei der nächsten Jagd nicht mehr sicher genug sein würde.
    Es war schon ärgerlich genug, daß sie in der vergangenen Nacht viel zu spät bemerkt hatte, wie unergiebig ihr Opfer gewesen war. Daher war sie schwach. Da sie fast alle verfügbare Kraft ›Mister Merlin‹ zur Verfügung stellen mußte, bekam sie die Zuschauer nur mühsam in ihren hypnosuggestiven Griff, mit dem sie dafür sorgte, daß zumindest von den Anwesenden niemand auch nur auf die Idee kommen würde, eine schwache Verbindung zwischen den rätselhaften Morden und dem Tourneeplan zu ziehen. Im Gegenteil, wer hier war, würde, ohne zu wissen, was er tat, unter dem hypnotischen Einfluß alles versuchen, was half, entsprechende Verdachtsmomente auszuräumen. Und es war immer davon auszugehen, daß sich Vertreter der Behörden bei der Premierevorstellung in den Zuschauerlogen befanden. Bürgermeister, Polizeichefs, Vorsitzende der politischen Parteien, Geschäftsleute, Juristen. Die High Society mit erheblichem Einfluß. Selbst wenn ein kleiner Polizist bei seinen Ermittlungen auf die richtige Spur kommen würde - man würde ihn schon bald ruhigstellen. Der hypno-suggestive Einfluß, den Lucy aussandte, sorgte dafür. Es gab zu wenige Menschen, die dagegen gefeit und nicht hypnotisierbar waren. 25 Jahre lang hatte es immer geklappt, und es würde auch für den Rest der Zeit, die sie noch an Textor gebunden war, funktionieren.
    Was sie bestürzte, war, daß sie Textor selbst nicht mehr unter Kontrolle hatte. So wie es ihr jetzt schon aufgrund ihrer leidigen Schwäche schwerfiel, die Zuschauer in ihren Griff zu bekommen, hatte sie auch bei Textor dieselben Schwierigkeiten. Vermutlich nur deshalb war er jetzt plötzlich auf diese Idee gekommen, die ihn aus dem Teufelskreis des Paktes hinauskatapultieren konnte. Das war recht ärgerlich.
    Die Frau aus der Hölle hatte noch etwa zehn Minuten, bis die Vorstellung wieder begann. Eine weitere Minute konnte sie noch zugeben - Textor würde mit wachsender Ungeduld warten. Aber danach hatte sie zu erscheinen. Sie mußte es einfach, um ihm die Ausstiegschance zu nehmen.
    Aber diese zehn oder elf Minuten reichten aus…
    ***
    Jussuf Akadir lebte seit fünfzehn Jahren in Frankreich und seit elf Jahren in Lyon. Aus Algerien, wo nur Hunger und Arbeitslosigkeit auf ihn wartete, war er nach Frankreich eingewandert, ganz legal und hochoffiziell im Gegensatz zu vielen seiner Landsleuten, hatte ein paar Jahre versucht, in Marseille Fuß zu fassen -aber ebenso zahlreich wie die Menschen aus den Maghreb-Ländern, die sich im Süden Frankreichs aufhielten, war auch die Zahl der bösartigen Vorurteile und die Abneigung der Südfranzosen gegen die moslemischen Einwanderer. So hatte Jussuf sich bemüht, weiter nördlich Job und Wohnung zu bekommen. Seit sieben Jahren war er nun Bühnenarbeiter an diesem Theater, wurde dadurch zwar nicht unbedingt reich, aber es langte, jeden Tag die Pfeife stopfen zu können und einen betagten Renault 4 durch Lyons Verkehrszusammenbruch lenken zu können, wenn er nicht gerade vorm Fernseher saß oder im Bett einer seiner Freundinnen lag, die natürlich nichts voneinander wissen durften. Deshalb hatte er sich angewöhnt, sie grundsätzlich nie beim Namen zu rufen. Sie hießen alle ›Liebling‹. Auf diese Weise konnte er niemals Ärger bekommen und hatte die Abwechslung, die ihm zustand. Schließlich stand nirgendwo im Koran, daß er nur einer einzigen Frau, mit der er nicht einmal verheiratet war, treu sein mußte.
    Die Vorstellung dieses ›Mister Merlin‹ hatte er von seinem Platz hinter der Bühne verfolgt. Bei Allah, dieser Zauberer war alles andere als ein einfacher Gaukler. Der Mann mußte ein Dschinn sein! Jussuf hatte schon etliche sogenannte Zauberer gesehen -hinter der Bühne kam man schnell darauf, wie die Tricks funktionierten, weil man eine ganz andere Perspektive hatte. Das hier waren aber keine Tricks. Es war das erste Mal, daß Jussuf nicht eine einzige Aktion durchschauen konnte.
    Andererseits erfüllte die Assistentin Lucy natürlich ihre Aufgabe, das Publikum abzulenken, in einzigartiger Weise. Ihr schneeweißes Haar, das wie Feuer wehte, und der

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