0485 - Whisper - der Staubgeist
oder in offene Fenster eindrang, um auch im Innern des Hauses seinen Weg zu finden.
Er klagte und jammerte, dann fauchte er, als wäre er besonders wütend und aggressiv. Im nächsten Augenblick kam uns ein Wehen vor wie ein Schmeicheln, mit dem er uns einfangen wollte.
Wir spürten ihn überall.
Er blies gegen mein Gesicht, er tauchte in die Haare, spielte mit ihnen, stellte sie hoch, drückte sie zur Seite, wehte sie nach vorn, wirbelte und glitt an mir herab wie lange, unsichtbare Finger. Er zupfte und rüttelte an meiner Kleidung, schleuderte die Schöße der Jacke in die Höhe, um sie einen Moment später wieder fallen zu lassen.
Er drang durch jede Lücke, in die Ärmel hinein und auch in unsere Hosenbeine, wobei er sich zuvor um unsere Füße gedreht hatte und so an den Beinen hochkroch, wobei er den Stoff der Hose ausbeulte.
Janine stand weiterhin zwischen uns. Sie hielt die Arme vor der Brust verschränkt, ihre Hände lagen dabei auf den Schultern, während ihr Gesicht eine zweite Haut bekommen hatte.
Konnte der Wind sprechen?
Es kam mir wenigstens so vor. Hin und wieder glaubte ich, das geheimnisvolle Wispern und Raunen zu hören, das mich wie Musik umgab. Der Wind war nicht kalt und auch nicht warm. Er befand sich in einem Zwischenstadium. Vielleicht konnte man ihn als lau bezeichnen, als Bote der Wolken, der anderen Natur, die unter einem magischen Einfluß stand.
Die Menschen aus Alcoste rührten sich nicht mehr. Sie hatten ihre Gesichter so gedreht, daß sie in den Wind schauten. Die Haut wirkte ohne Leben, sie war grau geworden, paßte sich der düsteren Umgebung an. Manchmal zitterten Lippen, hin und wieder zwinkerte jemand mit den Augen, und selbst die Kinder blieben ruhig.
Alles wartete auf das große Ereignis.
Aber Whisper ließ sich Zeit. Noch spielte er mit uns. Er kreiselte, er drehte sich, mal fuhr er scharf gegen uns, dann zog er sich wieder zurück, als hätte er Furcht.
Ich dachte daran, daß ihn Janine beschrieben hatte. Sie wußte von ihrem Urgroßvater, wie er sich zeigte. Deshalb schaute ich auch hoch gegen den Himmel.
Dort sah ich ihn.
Das Firmament hatte sich verdüstert. Ein dunkles Grau überzog die Stadt, so weit wir schauen konnten. Es war nicht die normale Dämmerung, da oben lauerte etwas anderes, denn der gelbe, maulartige Streifen zeichnete sich deutlich vor dem dunklen Hintergrund ab.
Whispers Zentrum!
Auch Suko blickte in die Höhe. Er warf mir einen wissenden Blick zu und hob gleichzeitig die Schultern.
»Was ist?« sprach ich gegen das Klagen des Windes an.
»Ich weiß nicht, wie wir ihn stoppen sollen. Da haben sich unsere Freunde eine verdammt scharfe Waffe geholt.«
»Stoppen? Tut mir leid.« Meine Stimme klang bitter.
»Bei einem Tornado fliegen die Flugzeuge in das Zentrum. Aber keiner von uns kann in das Auge hineinspringen.«
Und das Auge oder das Zentrum nahm an Größe zu. Es breitete sich aus, die Farbe verdichtete sich, so daß sie aussah wie ein schmutziges Schwefelgelb.
Ein Gruß aus der Hölle, aber noch immer die gefährliche Ruhe vor dem grausamen Sturm.
Papier huschte über den Boden und flog raschelnd an uns vorbei.
Zwei Katzen huschten über die Straße. Sie wurden von einem Hund gejagt. Jedenfalls sah es so aus. Aber der Hund hatte wohl die gleiche Angst wie die Katzen.
Dann passierte es.
Und es kam schlagartig über uns.
Zum Glück stand ich breibeinig, als die Bö mit großer Wucht über den Marktplatz herfiel. Janine hatte es nicht so gut wie ich. Sie konnte sich nicht auf den Beinen halten und fiel zu Boden.
Suko und ich hatten den Schlag in den Rücken bekommen, hielten uns und rissen Janine wieder hoch.
»Jetzt!« schrie sie. »Jetzt passiert es!«
Ich warf noch einen Blick in den Himmel. Das schwefelgelbe Zentrum stand genau über uns. Ein gewaltiges Licht im Grau des Himmels. Dort drehte es sich und die Bewegungen wurden immer hektischer.
In die Gestalten der Menschen war Bewegung gekommen. Arme reckten sich dem Himmel entgegen, als wollten die Wartenden Whisper zu fassen bekommen.
Er enttäuschte sie nicht.
Die Bö war nur der Anfang gewesen. Beim zweiten Angriff fiel er wie ein hungriges Raubtier über uns her…
***
Eine silberne Knochenklaue umklammerte ein ebenfalls silbernes Kreuz. Die Klaue gehörte einem aufrecht im Sarg sitzenden Skelett, das zudem noch mit dem Siegel der Templer bewaffnet war.
In den Zwischenwelten existieren magische Strömungen, die ein Mensch nicht wahrnehmen kann. Aber die Wesen,
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