0487 - Griff aus dem Nichts
einer hoheitsvollen Handbewegung gedachte er den entnervten Louis Legrelle zu verscheuchen.
Zamorra streckte den Arm aus und stoppte den Sturmlauf des Grande mit vorgereckter Hand. Eine umarmende Verbrüderungszene war momentan nicht nach seinem Geschmack. »Seid so gut und haltet für einen Moment das Maul!« sagte er grob, worauf der geschockte Don Cristofero prompt verstummte. Zamorra wandte sich an Legrelle. »Ich bitte um Entschuldigung. Aber er meint das alles nicht so, wie es zuweilen klingt. Ich weiß nicht, was er angestellt hat, aber sollte es Schaden, gegeben haben, werden wir das schon irgendwie regulieren. Ich danke Ihnen für Ihre Engelsgeduld, und - ganz im Vertrauen, Monsieur Legrelle: Ich an Ihrer. Stelle hätte ihm längst eine Maulschelle verpaßt. Das bringt ihn zur Ruhe.«
»Waaas?« brüllte Don Cristofero los. »Das ist Verrat der übelsten Art, de-Montagne! Ihr fraternisiert mit diesem aufgeblasenen Pöbel? Und was schwindelt Ihr da von Maulschellen, eh? Ich…«
Zamorra holte weit aus und machte eine kreiselnde Bewegung, die die flache Hand schwungvoll auf den Grande zufliegen ließ. Der wurde innerhalb von Sekundenbruchteilen stumm und blaß, seine Augen weiteten sich, und dann wieselte er mit einem Tempo, das man ihm wegen seiner nicht unbeträchtlichen Leibesfülle gar nicht zutraute, rückwärts in Sicherheit, ehe Zamorra seine Drohgebärde stoppen konnte.
»Sehen Sie, Legrelle?« grinste Zamorra. »So fängt man das an.«
Legrelle sank auf einen Stuhl. Zamorra winkte dem Gnom zu, der, bislang recht unbeachtet, in einer Zimmerecke gewartet hatte. »Komm, mein Freund. Wir gehen! - Monsieur Legrelle, ich rufe Sie morgen an, dann haben die Gemüter sich beruhigt, und wir reden über die Sache, ja?«
Legrelle nickte düster.
Zamorra schob den immer noch fassungslosen Zeitreisenden vor sich her durch Tür und Halle und hinaus auf den Parkplatz, wo er ihn in den Fond des BMW nötigte. Der Gnom, wie üblich in schreiend bunte Gewänder gekleidet, kam nach vorn auf den Beifahrersitz. Zamorra gab Gas und brachte den 740i auf die Schnellstraße. Es dauerte eine Weile, bis Don Cristofero die Sprache wiederfand.
Eine Tatsache, die Zamorras Gefallen fand.
***
Sula Solonys hatte den leichten Windhauch gespürt, der vom Fenster her kam, doch ehe sie begriff, was dort geschehen war, spürte sie bereits den leichten Einstich und sah überrascht den Dorn, der aus ihrer Haut ragte. Sie wollte ihn herausziehen, aber es gelang ihr nicht mehr. Als sie die Augen wieder öffnete, befand sie sich in einem düsteren Raum, in dem es muffig roch und eine einzige Kerze für ein geringes Maß an Beleuchtung sorgte.
Sie richtete sich auf. Ihr Rücken und ihre Schultern schmerzten leicht. Sie stellte fest, daß man sie auf eine harte Pritsche gelegt hatte, ohne Decke, einfach aufs blanke Holz. Ansonsten war der Raum kahl und leer. Die Wände waren aus rohen Steinen aufeinandergefügt, es gab eine eiserne Tür mit einem winzigen, vergitterten Fenster darin. Sula taumelte, als sie die Tür zu erreichen versuchte; sie kämpfte gegen blitzartig aufsteigende Übelkeit an. Nachwirkungen eines Betäubungsmittels, erkannte sie. Sekundenlang wurde ihr schwindlig, aber dann erholte sie sich langsam.
Der Gang draußen war völlig leer. Dort brannte nicht einmal eine Kerze, Fackel oder Öllampe.
»Ist da jemand?« schrie Sula und rüttelte heftig am Türschloß. »He, hallo! Kann mich jemand hören?«
Sie erhielt keine Antwort. Nicht einmal ein Echo. Die Steinwände schienen jedes Geräusch zu schlucken. Natürlich brachte auch das Rütteln an der Tür nichts ein. Sie war verriegelt, es gab kein Entkommen. Sula lehnte sich mit der Schulter gegen das kühle Metall. Sie fühlte sich unbehaglich. Weniger, weil sie so nackt war, wie sie Niks Liebe genossen hatte. Daran war sie gewohnt. Ihr Unbehagen rührte eher vom Entführungsschock. Eben noch die wunderbare Harmonie und Wärme, dann der jähe Überfall. Wer hatte sie entführen lassen, und warum? Sollte ihr Vater erpreßt werden? Er war zwar alt, aber alles andere als unbedeutend. Ging es um Geld? Er würde jede Summe bezahlen, um seine Tochter wieder freizubekommen, und danach versuchen, die Entführer zu finden, festzunehmen und unnachsichtig zu bestrafen. Da Sula bisher nicht wußte, wer ihre Entführer waren, bestand sogar die Chance, daß man sie tatsächlich wieder laufen ließ; sie konnte ja niemanden verraten. Dennoch kroch die Angst in ihr empor.
Es war alles
Weitere Kostenlose Bücher