0487 - Griff aus dem Nichts
schenken, fügte er in Gedanken hinzu. Aber Nicole hatte bereits anders disponiert. »Ich habe Ted zugesagt, daß wir nach Rom kommen, cheri« flötete sie. »Also beeil dich ein bißchen.«
»Jetzt noch?« stieß Zamorra hervor, aber da hatte sie bereits aufgelegt.
Kopfschüttelnd schaltete Zamorra das Gerät aus und fädelte sich wieder in den Verkehr ein; für das Telefonat hatte er kurz am Straßenrand angehalten. »Diese Telefone sind eine äußerst nützliche Einrichtung«, machte sich Don Cristofero im Fond des Wagens bemerkbar. »Ebenso wie die eisernen Vögel. Ich begreife einfach nicht, wie es möglich ist, daß sie fliegen und dabei ungeheure Lasten befördern können. Sie sind doch viel schwerer als Luft!«
»Vögel sind auch viel schwerer als Luft«, sagte Zamorra trocken.
»Ja, sicher«, brummte der Grande. »Aber sie schlagen mit den Flügeln und verschaffen sich damit Auftrieb. Das tun die Eisenvögel, oder Flugzeuge, wie ihr Neuzeitmenschen sie wohl nennt, aber nicht! Wie also können sie sich in der Luft halten, ohne herunterzufallen? Während des ganzen Fluges hatte ich Angst, dies würde geschehen. Es ging mir schon damals so, als Ihr mich nach England geleitet habt, Monsieur le Professeur. Ihr werdet mich nicht noch einmal einer solchen Schrecknis aussetzen, versteht Ihr? Das dulde ich nicht. Es gibt doch gewiß noch Schiffe.«
»Die Flugzeuge sind absolut sicher, Eure Angst ist unbegründet«, wehrte Zamorra ab. »Es gibt weitaus mehr Auto- als Flugzeugunfälle. Auf ein Flugzeug, das vom Himmel fällt, kommen zehn- oder hunderttausend Autos, die zusammenstoßen oder vor Bäume und Hauswände rasen.«
»Und da sperrt Ihr mich in dieses Vehikel?« schrie Don Cristofero. »Ich will sofort hier raus!« Er fand den Öffner und stieß die Tür auf; der Fahrtwind drückte sie ihm allerdings wieder entgegen.
Zamorra bremste scharf ab.
»Das, Freund Fuego y Montego, macht Ihr mir kein zweites Mal«, sagte er scharf. »Gerade durch solche Dummheiten entstehen ja die Unfälle erst!«
Don Cristofero kämpfte mit dem Sicherheitsgurt. »Ich steige aus!« entschied er.
»Bitte«, sagte Zamorra. »Vor Euch liegt noch ein Fußmarsch von… sagen wir… einer Stunde. Da es aber recht steil bergauf geht, wie Ihr wißt, und Ihr des Laufens wohl recht ungeübt seid, werdet Ihr wesentlich länger brauchen.«
»Ihr werdet mir selbstverständlich flugs eine Kutsche entgegensenden, oder zumindest eine Sänfte mit vier Trägern!«
»Den Teufel werde ich tun«, sagte Zamorra. »Mein Freund, Ihr solltet endlich akzeptieren, daß Ihr nicht mehr im 17. Jahrhundert lebt, sondern im 20. Eure luxuriösen Bedürfnisse und unangemessenen Forderungen, und vor allem Euer arrogantes Mundwerk könnt Ihr getrost vergessen. Diese Zeiten sind vorbei, Monsieur oder Señor Fuego! Haben Sie mich verstanden?«
»Ich beliebe hochgradig empört zu sein!« fauchte der Dicke. »Los, sorgt schon dafür, daß dieses pferdelose Vehikel sich endlich wieder in Bewegung setzt!«
»Ich bin nicht Ihr Lakai, Monsieur Fuego«, sagte Zamorra. »Tür zu, Gurt wieder anlegen und Ruhe! Oder Sie steigen aus und gehen tatsächlich den Rest des Weges zu Fuß. Vielleicht finden Sie ja jemanden, der Ihnen den Weg erklärt, wenn Sie ihn höflich darum bitten.«
»Bitten«, ächzte Don Cristofero fassungslos. »Ich soll bitten! Das darf doch nicht wahr sein…« Aber er schloß tatsächlich die Autotür und schnallte sich wieder an. Zamorra ließ die Achtzylinder-Limousine weiterrollen. Es war an der Zeit, fand er, dem Don endlich die Flügel zu stutzen und ihm zu zeigen, daß er es war, der sich anzupassen hatte. Zumindest solange, wie sein Zeitzauberer den Weg zurück in die Vergangenheit nicht wiedergefunden hatte.
Bislang hatte er versucht, die Verrücktheiten seines Vorfahren zu tolerieren. Der konnte schließlich nichts dafür, in eine Welt und eine Gesellschaftsschicht geboren worden zu sein, in der die Arroganz des Adels gegenüber dem »gemeinen Volk«, geradezu Pflicht war. Aber er befand sich nicht länger in seiner Zeit, und mit seinen inzwischen 49 Lebensjahren sollte er noch jung genug sein, um sich umgewöhnen zu können. Auch wenn es ihm innerlich gegen den Strich ging. Zamorra konnte sich gut vorstellen, welche seelischen Qualen der Pilot der Chartermaschine während des Fluges nach Lyon erduldet hatte. Er konnte sich auch vorstellen, wie schnell der recht leicht erregbare Louis Legrelle auf die Palme geraten war. Don Cristofero war
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