049 - Die Höhle der Untoten
Frau fasste mit beiden Händen nach ihrem Hals, rang nach Luft. Sie glaubte, ersticken zu müssen.
Das Etwas bewegte sich. Zuerst begann es nur leicht zu zittern, dann schien es eine unsichtbare Hülle zu sprengen. Die alte Martha sah noch mehr. Sie sprang plötzlich auf, stieß einen heiseren Schrei des Entsetzens aus, lief aus der Küche, rannte auf ihren kurzen Beinen zur Tür, riss sie auf und verschwand nach draußen, bevor der Bauer sie daran hindern konnte.
Er blieb in der geöffneten Tür stehen, wollte sie zurückrufen, fand aber nicht die Kraft dazu. Der peitschende Regen trieb ihn zurück. Als ein Blitz aufzuckte, konnte er die Alte für Sekundenbruchteile ausmachen. Die alte Martha war bereits unter den Obstbäumen. Sie war nur noch als Umriss zu erkennen. Das Schultertuch umflatterte ihre kleine, hagere Gestalt. Wie eine riesige Fledermaus sah sie aus, unheimlich und bedrohlich. Der Lobelbauer schlug die Tür zu, wischte sich den Regen vom Gesicht und holte tief Luft, bevor er hinüber zum Ecktisch ging, um sich einen Schnaps einzugießen. So etwas hatte er noch nicht bei der alten Martha erlebt. Wie von Sinnen war sie gewesen. Sicherheitshalber bekreuzigte er sich.
»So was habe ich noch nie gesehen«, flüsterte Walter.
Wahrhaftige Andacht war in seiner Stimme. Mit der Taschenlampe leuchtete er die Wände der Grotte ab. Er hatte seinen rechten Arm um Liesels Schultern gelegt und führte sie an den Wandzeichnungen entlang. Sie waren lebensgroß und stellten menschenähnliche Figuren dar. Diese Felsbilder waren noch völlig unversehrt. Sie waren mit rotem Farbstoff auf den Kalkstein aufgetragen worden. Die Figuren waren gesichtslos, trugen spitze, hutähnliche Gebilde auf den Köpfen und hielten Schlangen in den Händen. Sie schritten offensichtlich alle auf einen ganz bestimmten Punkt in der Grotte zu.
»Lass uns gehen!«, bat Liesel Blattner mit leiser Stimme.
»Gleich«, sagte Walter, der von den Zeichnungen fasziniert war. »Das hier muss sehr, sehr alt sein. Vielleicht war das früher mal 'ne Opferstätte.«
Er hatte ähnliche Bilder schon einmal im Fernsehen gesehen. Und plötzlich erinnerte er sich auch an seinen Schulunterricht. Sein Lehrer hatte von Kelten erzählt und von Druiden, jenen geheimnisvollen Männern in grauer Vorzeit, die das Wissen ihrer Zeit bewahrten und über magische Kräfte verfügten. War er auf solch eine Kultstätte gestoßen?
»Hier ist es unheimlich«, hörte er Liesel sagen. »Komm, lass uns endlich gehen, bevor noch was passiert.«
»Was soll denn hier passieren?«, gab er unwillig zurück. »Mensch, kapier doch! Das hier ist 'ne Sensation! Nach so was suchen sie doch schon seit vielen Jahren. Und ich hab's gefunden!«
Nein, er ließ sich nicht umstimmen. Er wollte es jetzt ganz genau wissen. Liesel musste notgedrungen mitgehen. Sie hatte Angst, in der Dunkelheit zurückzubleiben, horchte nach draußen. Von dem Unwetter war hier kaum noch etwas zu hören. Aber es gab da ein anderes Geräusch: Tief unten im Berg knisterte es, schien sich etwas zu bewegen. Ein Rieseln und Rauschen war zu hören bis herauf in die Grotte, die vielleicht halb so groß war wie Bläsers Tanzsaal. Das Rauschen wurde lauter und schwoll an.
»Hörst du denn nichts?«, fragte sie verzweifelt und blieb störrisch stehen.
»Klar, Liesel«, gab er beiläufig zurück. »Das ist das Regenwasser, das sich unten im Berg sammelt. Hier ist doch alles hohl.«
Er ging weiter und blieb dann jäh stehen.
Walter Dünhofen hatte eine kreisrunde Steinplatte erreicht, die ihn in ihrer Größe an einen alten Mahlstein erinnerte. Er beugte sich vor, um diesen Stein besser studieren zu können. Die Platte bestand nicht aus Kalkstein. Es schien Granit zu sein.
»Da steht was drauf«, sagte er halblaut, »aber ich kann's nicht lesen. Sieh mal, richtig reingemeißelt!«
Der runde Stein war mit Zeichen und Symbolen einer fremden Zeit und Welt bedeckt. Seiner Ansicht nach waren es Runen. Sie waren spiralförmig angeordnet und endeten in einem Loch, in das man einen Steinzapfen hineingetrieben hatte.
»Rühr es nicht an!«, bat Liesel eindringlich, als er sich bückte.
Er legte die Taschenlampe auf den kreisrunden Stein und griff mit beiden Händen nach dem Zapfen. Irgendetwas ließ ihn dies tun. Nichts in der Welt hätte ihn in diesem Augenblick davon abgehalten. Der Zapfen saß fest, ließ sich aber bald lockern.
Liesel Blattner stand wie versteinert neben Walter. Sie fühlte, dass sich etwas
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