049 - Wenn der rote Hexer kommt
vorkommen … Wünsche ich Ihnen auch.«
Als Vicky den Hörer in die Gabel legte, machte sie »Puh!«
»War er ungehalten?« fragte ich.
»Nein. Du weißt doch, wie gut ich mit ihm auskomme. Es wäre mit den Abzügen auch nicht so brandeilig, wenn nicht ein Druckerstreik in der Luft hängen würde. Aus diesem Grund müssen viele Termine vorverlegt werden, und das hat man mir zu sagen vergessen.«
»Dann spuck dir mal kräftig in die Hände und geh an die Arbeit«, sagte ich grinsend.
»Krieg’ ich zum Abschied noch einen Kuß?«
»Reicht die Zeit denn noch dafür?«
»Soviel Zeit ist immer«, sagte Vicky Bonney, und dann legten sich ihre weichen, warmen Lippen auf meinen Mund. Ich genoß diesen Augenblick.
Kurz darauf war ich allein. Es wäre mir recht gewesen, wenn sich Mr. Silver gemeldet hätte, doch diese Freude machte er mir nicht.
Ich verließ mein Haus und läutete nebenan.
Oda, die weiße Hexe, öffnete. Sie war ein sehr hübsches, sehr trauriges Mädchen. Der Grund für ihre Traurigkeit lag im Schlafzimmer des Obergeschosses: Lance Selby.
Das rothaarige Mädchen ließ mich ein. »Ich dachte, ich sollte mal wieder nach dir sehen«, sagte ich. »Du mußt dich nicht so rar machen. Komm öfter mal rüber zu uns. Es tut gut, sich hin und wieder bei Freunden auszusprechen.«
Wir begaben uns in den Living-room. Oda sah nicht gut aus. Sie hatte weiß Gott schon glücklichere Tage erlebt. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie sie zu uns gestoßen war. Sie hatte Mago, den Jäger der abtrünnigen Hexen, auf den Fersen gehabt, und natürlich waren auch seine Schergen hinter ihr her gewesen, doch es war uns gelungen, sie zu retten und sie verliebte sich in unseren Freund und Nachbarn Lance Selby.
Unzertrennlich waren sie seither, aber Lance wußte nicht mehr, daß er Oda an seiner Seite hatte. Er sah die Tränen nicht, die sie an seinem Bett vergoß, wenn sie ihn so still daliegen sah, als wäre er tot.
Aber das war er nicht. Etwas Schlimmeres ging mit ihm vor. Er verwelkte wie eine Pflanze, die man nicht gießt. Er alterte schneller, trocknete ein, sah aus wie sein eigener Großvater, und das war kein scherzhafter Vergleich.
Ich brauchte nur Lances Namen zu erwähnen, und schon füllten sich Odas Augen mit Tränen. »Wenn ich ihm nur helfen könnte«, sagte sie klagend. Wie oft hätte sie das schon gesagt.
Es war nicht möglich.
Lance Selby hatte Professor Kulis synthetisches Blut in seinen Adern, und wir wußten nicht, wie wir das rückgängig machen konnten. Aus diesem Grund hatte Roxane unseren Freund in einen magischen Tiefschlaf versetzt, aus dem nur sie ihn wiedererwecken konnte.
Wir dachten, jetzt hätten wir Zeit zum Überlegen, aber das war ein Irrtum, denn Mortimer Kulis künstliches Blut hatte Nebenwirkungen. Es ließ Lance Selby rapid altern. Wir nahmen an, daß das durch den Ruhezustand gefördert wurde. Es wäre wichtig gewesen, Lance – wenigstens für einige Zeit – aufzuwecken, doch die einzige, die das tun konnte, war unauffindbar.
Es war ein Teufelskreis, in dem sich der arme Lance Selby befand.
Da er schlief, litt er nicht darunter. Die Leidtragende war Oda.
Wir tranken zusammen Kaffee. Ich blieb eine Stunde bei der weißen Hexe. Bevor ich ging, warf ich noch einen Blick auf Lance, und es krampfte mir das Herz zusammen. Wie aufgebahrt lag der Parapsychologe, der in so vielen gefährlichen Kämpfen an meiner Seite gestanden hatte, im Bett.
Ich sprach an der Haustür noch einmal die Einladung aus, Oda möge zu uns herüberkommen, wenn sie die Einsamkeit nicht ertrug.
Sie nickte, und ich kehrte nach Hause zurück.
Und da überkam es mich ganz plötzlich.
Mir war, als würde mich ein Blitz aus heiterem Himmel treffen.
Ich stöhnte auf und sank gegen die Tür, während durch meinen Kopf ein kurzer, heftiger Schmerz zuckte. Es war gleich wieder vorbei. Nur die roten Flocken vor meinen Augen blieben noch eine Weile.
Da war es wieder, dieses… ich weiß nicht, was es war.
Es passierte immer so überfallartig, war aber nicht immer mit so einem Schmerz verbunden. Ich hatte das Gefühl, mit mir würde eine geheimnisvolle Veränderung vorgehen. Sogar Vicky Bonney, das Mädchen, das ich mehr als mein Leben liebte, kam mir manchmal fremd vor. So fremd wie meine Freunde und mein Haus. Ab und zu war mir, als gehörte ich nicht hierher, und ich stellte mir dann immer wieder dieselbe bange Frage: Was ist los mit mir?
Als es vorbei war, schloß ich die Tür auf und ging hinein. Weiß
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