049 - Wenn der rote Hexer kommt
immer weitere Kreise ziehen, das Gute verdrängen, unterjochen, zerstören.
Ein wahrlich großes Ziel.
Accon zweifelte keinen Augenblick daran, daß er es erreichen würde.
***
Alexis Burns zündete sich eine Zigarette an. Ihre Hände zitterten.
Ruhelos ging sie in der Atelierwohnung auf und ab. Immer wieder warf sie einen Blick auf die Uhr. Die Zeit wollte nicht vergehen.
Angst und Zweifel peinigten das Mädchen.
Sie hoffte, daß Murray Adams nicht Verdacht geschöpft hatte. Er war so furchtbar mißtrauisch. Wenn er auf die Idee kam, sie könnte sich mit Tony Ballard verabredet haben… Sie wagte nicht weiterzudenken.
Sie lehnte sich an die Wand, nahm einen tiefen nervösen Zug und blies den Rauch zum schrägen, halb offenen Dachflächenfenster. Die Schwaden schwangen träge nach oben, und als der Luftzug sie erfaßte, wurden sie schneller und schlüpften ins Freie.
Hanya, dachte Alexis. Du weißt nicht, wie ich mit dir leide.
Sie glaubte zu spüren, daß ihre Zwillingsschwester noch lebte.
Aber viel Zeit blieb Hanya bestimmt nicht mehr, dann würde sie dem grausamen Ritual zum Opfer fallen.
Alexis klammerte sich verzweifelt an die Hoffnung, daß es Tony Ballard gelang, ihre Schwester zu retten, doch immer wieder hörte sie diese grausame Stimme, die ihr zuraunte, daß Hanya verloren war.
Mit schleppenden Schritten ging Alexis Burns durch die Wohnung, in der sie mit Hanya seit vier Jahren wohnte. Sie waren immer ein Herz und eine Seele gewesen.
Zwischen anderen Geschwistern kommt es häufig zum Streit; sie gehen sich auf die Nerven. Bei ihnen war das nicht der Fall gewesen.
Sie hatten sich immer großartig vertragen, und sie hingen aneinander. Die eine konnte sich ein Leben ohne die andere kaum vorstellen, aber nun waren sie brutal getrennt worden, und es war mehr als fraglich, ob sie jemals wieder zusammenkommen konnten.
Sie hätten niemals diesen Job in Hempstead annehmen sollen, das wußte Alexis heute, aber diese Erkenntnis kam zu spät und würde Hanya vermutlich das Leben kosten.
Alexis öffnete die Tür, die in Hanyas Zimmer führte.
Sie waren eineiige Zwillinge und sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Die kleinen Dinge, die sie voneinander unterschieden, fielen nur ihnen selbst auf. Ihrer Umwelt blieben sie verborgen.
Häufig machten sie sich den Spaß, ihre Mitmenschen zu täuschen, zu verblüffen, zu verwirren. Bevor sie nach Hempstead gingen, waren sie zwar arm, aber froh und glücklich gewesen.
Die Arbeit im Poloclub hatte ihnen ein finanziell sorgloses Leben ermöglicht. Dafür hatten sich bei ihnen andere Sorgen eingeschlichen, die sich allmählich zu einem quälenden Alptraum ausweiteten.
Und nun saßen sie so tief in der Patsche, daß sie sich selbst nicht mehr helfen konnten. Warum hielt das Schicksal für sie beide ein so grausames Spiel bereit?
Alexis trat in das Zimmer der Schwester, die sie vielleicht nie mehr wiedersehen würde. Mit Tränen in den Augen setzte sie sich auf die Couch. Alles in diesem Raum trug Hanyas Handschrift. Ihr guter Geschmack hatte beim Einrichten seinen Niederschlag gefunden.
Wieder schaute sie auf ihre Uhr.
Dunkle Gestalten huschten über das Dach.
Alexis sah sie nicht und hörte nicht, daß sie näherschlichen. Sie war mit ihren Gedanken nicht mehr in der Wohnung, hatte eine geistige Brücke zwischen sich und ihrer Zwillingsschwester hergestellt und bildete sich ein, Zwiesprache mit Hanya halten zu können.
Indessen kam das Grauen immer näher. Zwischen zwei Schornsteinen tauchte die furchterregende Fratze eines Werwolfs auf. Das Monster blickte sich um, gab seinen beiden Begleitern ein knappes Zeichen und glitt an eines der Dachflächenfenster heran.
Jetzt sank das Ungeheuer auf die Knie und beugte sich langsam vor. Der Wolf blickte in Hanya Bums’ Zimmer. Auf der Couch saß Alexis und rauchte. Blaß und krank sah sie aus, und sie sollte sich bald noch viel mieser fühlen.
Der Werwolf richtete sich auf, ohne daß das Mädchen ihn bemerkte. Er bedeutete seinen Kumpanen, sich zum Nachbarfenster zu begeben. Sie öffneten es und kletterten nacheinander in die Wohnung hinunter.
Alexis drückte die Zigarette in den Aschenbecher, der auf Hanyas Nachttisch stand. Sanft strich sie über die Tagesdecke, die auf der Couch lag, und sie bildete sich ein, Hanya zu streicheln.
»Wenn wir Glück haben«, flüsterte sie und erhob sich, »wird für uns vielleicht doch noch alles gut. Ich glaube, es wäre falsch, jetzt schon die Hoffnung aufzugeben,
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