0490 - Höllen-See
Griff. Es waren gewaltige Pranken. Sie hielten ihn wie einen Rettungsanker, der denjenigen aus der Tiefe holte, der sich als Mann der Wahrheit bezeichnete und nichts weiter war als ein grausamer Dämon.
Es war der Prophet!
»John, das ist ja verrückt. Das kann doch nicht sein!« Chrysantheme war ebenso überrascht wie ich.
Sie sah nun, wem sie gefolgt war. Einer übergroßen, gewaltigen, feuerroten Zornbiegestalt.
Einem Monster…
***
Auch ich war schockiert, zeigte es jedoch nicht so auffällig wie Chrysantheme.
Das Monster war ein Lebewesen. Ein Körper, ein Kopf, der darauf saß, wobei beide irgendwie nicht zusammen zu passen schienen, denn mir fiel die Unregelmäßigkeit auf.
Sie waren eckig, als hätte man sie aus gläsernen Brocken zusammengesetzt, aus dem gleichen Material, auf dem wir standen, nur eben in einer blutroten Farbe.
Der Kopf wirkte wie ein überdimensionaler Edelstein. Mehreckig zeichnete sich das Gesicht ab. An einer Wange spitz, an der anderen flacher. Auf der kantigen Stirn wuchsen Haare, die erstarrten, wie rote, von ihnen her leuchtende Glasfäden wirkten und den Kopf als Mähne umgaben. Mund und Nase waren angedeutet, die Augen erinnerten an eckige Gebilde, wobei das rechte acht, das linke aber nur sechs Kanten besaß.
Gewaltige Pranken aus Glas umklammerten den Schwertgriff. Sie leuchteten in den verschiedenen Rottönen, wie auch der übrige Körper. Mal heller, mal dunkler, aber es war nichts, was innerhalb dieser Gestalt lief und pulsierte.
Kein Blut, kein Lebenssaft…
Trotzdem lebte das Monstrum. Neben mir hatte sich das Mädchen wieder von ihrem Schreck erholt.
»Wer kann das sein?« flüsterte sie.
Eine Frage, die auch ich mir gestellt hatte. Ich kannte dieses Wesen nicht. Es war aus einer unheimlichen Tiefe erschienen, die Erde hatte es bisher verborgen gehabt, aber sein Gedankengut war von den Kapuzenmännern in die Welt getragen worden.
»Wer, John, wer?«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
Sie hob die Schultern. »Und die Gesichter sind jetzt in der Klinge«, hauchte sie. Obwohl sie leise gesprochen hatte, konnte ich sie verstehen, denn der Hubschrauber befand sich ziemlich weit entfernt. Die Diener wollten diesmal nicht eingreifen.
Aber das Monstrum sprach selbst. Um Chrysantheme kümmerte es sich nicht, die Worte waren an mich gerichtet. »Du hast eine Welt vernichten können, es liegt noch nicht lange zurück, aber etwas ist geblieben. Man kann das gläserne Grauen nicht so einfach zerstören, John Sinclair…«
»Gorgos!« rief ich.
»Nein!« hörte ich die dumpfe Antwort. Die Worte klangen dabei ebenfalls wie brechendes Glas.
»Ich bin nicht Gorgos.«
»Wer denn?«
»Ich habe in der Welt gelebt. Ich bin ein Teil von ihr. Ein Teil des mächtigen Kontinents, der einmal Atlantis gewesen ist. Als das große Reich zerstört wurde, spaltete ich mich ab. Mir gelang die Flucht in eure Dimension, wo ich mich niederließ. Ich erschien aus dem Meer, und niemand wußte, was diese neue Insel tatsächlich barg. Nämlich mich. Ich bin gekommen, um Rache zu nehmen. Ich habe die Menschen beobachtet und mir ihre schwachen Stellen ausgesucht. So erfuhr ich, wie leicht sie den falschen Propheten auf dem Leim gehen und für viele Dinge sehr empfänglich sind.«
»Da hat er verdammt recht!« flüsterte Chrysantheme.
»Und deine Diener? Wie hast du sie bekommen?«
»Es war einfach. Ich brütete einen Plan aus, den ich ihnen zuspielte. Sie kamen zu mir auf die Insel, und ich schwor sie auf mich ein. Sie glaubten mir, sie taten alles für mich, besonders dann, als ich ihnen meine Taufe gab, sie in die gläserne Welt holte und sie auch äußerlich zu meinen Vertrauten machte, wobei sie als Waffe das rote Schwert bekamen, auf das sie schwören mußten. Ich bin der Prophet vom blutigen Schwert, derjenige, der den Menschen die Wahrheit sagt. Mit den Mädchen fing es an, andere werden folgen. Ich werde mein gläsernes Netz spannen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Wir waren soweit, um die Stadt zu erobern, aber dann kamst du. Ich wußte, daß wir uns begegnen würden. Schon einmal ist es dir gelungen, Gorgos Reich zu zerstören. Da mußten wir einfach zusammentreffen, und jetzt bist du da, Geisterjäger.«
»Und kein Opfer deiner Welt geworden.«
»Das stimmt. Dein Kreuz hat dir geholfen. Es konnte meine Magie zurückdrängen, aber wie willst du je von hier weg? Ich werde dich behalten, meine Diener haben den Auftrag bekommen, dich zu töten. Ich werde zuschauen, wenn sie dich
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