0491 - Der Blutjäger
stehenblieb und den Kopf schüttelte. »Das kann nicht wahr sein. Du willst sie doch nicht etwa pfählen?«
Franz holte tief Luft. »Bleibt mir denn eine andere Möglichkeit? Ich bin gekommen, um deine Schwester zu pfählen, Mädchen. Danach werde ich den Sarg verschließen und niemandem mehr erlauben, einen Blick auf die Tote zu werfen. So sieht mein Plan aus, und so führe ich ihn auch durch. Jetzt weißt du Bescheid.«
Eva Leitner nickte, ohne daß sie es selbst merkte. Sie war völlig durcheinander. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, und sie dachte an all das Schauerliche und Gruselige, das sie schon als Kind über Vampire gehört und auch gelesen hatte.
Aber in Wirklichkeit?
»Gibt es denn keine andere Möglichkeit? Ich meine, man könnte den Sarg verschließen, ohne daß sie gepfählt wird.«
»Ja, das ginge.«
»Und weshalb…?«
»Mädchen, ich habe über Vampire viel gelesen und weiß auch von ihren Kräften. Sie erwachen in der Nacht, auch wenn Friedhofserde über ihnen liegt. Und sie besitzen gewaltige Kräfte. Vielleicht würde sie sogar ihren Sarg zerstören können. Auch wenn ihr dies nicht gelingt, müßten wir immer damit rechnen, daß jemand kommt und sie aus dem Grab hervorholt.«
»Wer denn?«
»Derjenige, der sie zum Vampir gemacht hat. Der seine Zähne in ihren Hals geschlagen hat, um ihr Blut zu trinken. Ihr Leit-Vampir, wenn ich das mal so sagen darf.«
Eva ließ den Kopf sinken, sie stöhnte. Sie war gekommen, um ihrer Schwester Lebewohl zu sagen, und jetzt geschah so etwas.
»Hast du mich verstanden, Eva?«
»Ich versuche es.«
»Es gibt jemand, der deine Schwester zu einem Vampir gemacht hat«, flüsterte Franz. »Und dieser Jemand ist frei. Begreifst du das? Er kann in jeder Nacht zuschlagen und sich noch andere Opfer holen. Durch Zufall habe ich eines entdeckt, und ich werde ihm den ewigen Frieden zurückgeben. Das ist meine Pflicht.«
Sie nickte, obwohl sie nicht davon überzeugt war. Dann aber fragte sie: »Wer kann meine Schwester zu einem Blutsauger gemacht haben?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hast du nichts gesehen, als sie über den Friedhof schlich?«
»Nein.«
»Keinen Hinweis.«
Franz hob die Schultern und ließ gleichzeitig seine Hand unter dem Overall verschwinden. Eva nahm die Bewegung zwar wahr, doch sie dachte bereits an etwas anderes. Ihre Gedanken glitten zurück nach London, wo sie lebte. Sie war eigentlich immer auf dem laufenden, und sie hatte einige Male einen Namen gehört und auch gelesen.
John Sinclair!
Ein Polizeibeamter, ein Geisterjäger oder etwas Ähnliches. Vielleicht konnte er…
»Woran denkst du?« fragte Franz.
Sie winkte ab. »An nichts weiter. Ich… ich komme nur nicht so recht klar. Für mich ist das alles sehr unverständlich, weißt du?« Sie ging wieder vor und blieb dicht neben dem Sarg stehen. Da der Sarg etwas erhöht stand, konnte sie ihre Hände auf den Rand legen, ohne sich tief bücken zu müssen. »Es ist für mich unfaßbar, unbegreiflich. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ein Vampir sein soll.«
»Willst du den endgültigen Beweis?« Franz trat an Eva heran. Er sah sehr ernst aus.
»Wie meinst du das?«
»Gib genau acht, Mädchen.« Franz beugte sich zur Seite und bückte sich gleichzeitig. Eine Hand näherte sich dem Gesicht der Toten. Die Finger strichen über das Kinn und weiter hinauf, bis sie die Lippen erreicht hatten.
Auf der Oberlippe verharrten sie. »Jetzt kannst du es sehen. Du muß genau hinschauen.«
»Ja, bitte.«
Sehr vorsichtig, als würde er eine Folie irgendwo ablösen, zog der Totengräber die Oberlippe der »Leiche« zurück. Von der Seite her schaute Eva auf die weißgelbe Zahnreihe, aber sie sah plötzlich die beiden längeren Zähne rechts und links aus dem Oberkiefer hervorschauen.
Vampirzähne!
»Siehst du sie?« flüsterte Franz.
»Du hast recht.«
Er ließ die Oberlippe wieder zurückfallen. »Und das ist kein künstliches Vampirgebiß, Mädchen. Das ist echt! Deine Schwester ist zu einer Blutsaugerin, geworden.«
Eva Leitner sagte nichts. Sie schaute nur zu, wie der Totengräber unter seinem Overall den dort verborgen gewesenen Eichenpflock hervorholte. Es war ein knotiges Stück Holz und roch noch frisch. Vorn lief es spitz zu. »Ich habe die Waffe erst heute morgen hergestellt«, erklärte er mit finster klingender Stimme. »Sie ist genau richtig für eine Blutsaugerin. Ich werde sie ihr dort in die Brust stoßen, wo sich auch das Herz befindet. Du kennst
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