0492 - Der Zug aus der Hölle
bei dem Blassen nicht gewirkt! Oder doch nur sehr schwach. Der Lord begriff das nicht. Es war nicht in Ordnung so.
»Was sind Sie, Mann?« fragte er. »Ein Dieb, ein Geheimagent oder ein Dämon? Was haben Sie an meinem Koffer zu schaffen?«
Der Mann mit den Handschuhen verzog keine Miene. »Sie sind zweimal an meinem Abteil vorbeigeschlichen und haben mich dabei seltsam angestarrt«, sagte er. »Da wollte ich wissen, mit wem ich es zu tun habe. Man liest heutzutage so viel in der Zeitung von irgendwelchen Irren, die harmlose Reisende überfallen, ausrauben und ermorden oder andere Dinge mit ihnen anstellen.«
»Was meinen Sie mit ›andere Dinge‹?«
Der andere zuckte mit den Schultern. »Na, Sie werden’s schon wissen. Treten Sie jetzt zur Seite, Sir, damit ich das Abteil verlassen kann, ohne Sie niederschießen zu müssen.«
»Wer sind Sie? Haben Sie überhaupt einen Waffenschein?« fragte Saris scharf, der dem Mann kein Wort glaubte. Der Fremde hatte wohl nur die Gunst des Augenblicks nutzen wollen. Statt Saris, dem er vermutlich gefolgt war, zu helfen, hatte er sich über den Koffer hergemacht. Sein Pech, daß es da keine Wertsachen zu finden gab.
»Das geht Sie überhaupt nichts an, Sir. Gehen Sie jetzt beiseite.« Er krümmte den Zeigefinger etwas, berührte den Druckpunkt der Waffe.
Im gleichen Moment machte der Zug einen Ruck. Der Pistolenmann taumelte. Der Schuß löste sich, verfehlte den Lord aber und jaulte als Querschläger durch den Gang, prallte mehrmals ab, bis das Geschoß endlich irgendwo zur Ruhe kam. Saris riß das Bein hoch. Mit der Fußspitze traf er den Fremden, der aufstöhnend zusammenknickte und verzweifelt nach Luft schnappte. Saris legte den Kopf schräg, stufte die verkrampfte Körperhaltung seines Gegners als Einladung ein und schickte ihn mit einem wohldosierten Handkantenschlag vorübergehend ins Land der Träume.
Dann atmete er tief durch. Er fühlte, daß er leicht zitterte. Der bevorstehende Generationswechsel machte sich bereits drastisch bemerkbar. Sein Geist hatte diese Auseinandersetzung mühelos verkraftet, aber sein Körper spielte nicht mehr richtig mit. Die hastigen Bewegungen hatten Bryonts Kopfschmerzen verstärkt, und er fragte sich, ob er eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Er schloß seinen Koffer wieder und untersuchte den Fremden, fand aber weder Ausweise noch Führerschein, noch Kreditkarte oder sonst etwas, das auf die Identität des Mannes hinwies. Seufzend nahm er die Pistole des anderen an sich und betrachtete sie eingehend. Eine CZ 75, Kaliber 9 Millimeter. »Ein tschechisches Modell«, brummte Saris verblüfft. »Ziemlich rar auf der Insel, möchte ich mal sagen.« Er nahm das 14-Schuß-Magazin heraus und betrachtete die Patronen.
Keine Bleikugeln. Das war - Silber!
»Damit pflegt man Werwölfe abzuschießen«, murmelte Bryont. Schulterzuckend schob er das Magazin in die Waffe zurück und ließ sie in seiner Jackentasche verschwinden! Da erinnerte er sich an die Querschläger im Gang. Warum war die Kugel nicht steckengeblieben oder hatte Glas durchschlagen? Aus was für einem Material war dieser Zug konsturiert?
Nach Stahl hatte es zumindest nicht geklungen…
Draußen war es wieder heller geworden, und die Hitze, die dort herrschen mußte und die scheinbar schußsicheren Scheiben von außen beschlagen ließ, drang jetzt allmählich auch ins Innere des Zuges ein. Nachdenklich trat Saris wieder in die Abteiltür. Wohin mochte das Tier geflüchtet sein, das ihn angegriffen hatte?
Trieb es jetzt anderswo in diesem Zug sein Unwesen? Möglicherweise in der Nähe der beiden Frauen?
Kaum hatte er an sie gedacht, als sie beide Saris’ Wagen betraten. Zögernd nur, unsicher und trotzdem neugierig. »Wurde hier geschossen?« fragte die ältere, erleichtert, einen ganz normalen Mann vor sich zu sehen und keinen Schwerverbrecher, der mit der Waffe in der Gegend herumfuchtelte. »Und wo sind wir hier überhaupt? Das ist doch nicht die Strecke nach Glasgow! Lieber Himmel, was geschieht hier?«
Der Zug ruckte abermals heftig. Etwas krachte und knirschte ohrenbetäubend. Dann verlangsamte sich das Tempo.
»Sieht aus, als wären wir in der Endstation Hölle angekommen«, sagte Bryont Saris.
***
Zamorra und Nicole rafften sich auf. »Mußte das sein?« beschwerte Nicole sich. »Hättest du diesen Transport nicht etwas behutsamer gestalten können, Assi?«
Sid Amos murmelte eine Verwünschung. Der verniedlichende Spitzname hatte ihm noch nie
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