0492 - Der Zug aus der Hölle
Lucifuge Rofocale. Allerdings konnte es wichtig sein, ihnen gegenüber seine Tarnung so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, damit er nicht durch einen bösen Zufall frühzeitig enttarnt wurde.
Immer noch rollte der Zug. Die Temperatur stieg an. Der MIB verließ sein Abteil, wie es auch die anderen taten. Er paßte sich der Verwirrung der Menschen an, die mit der roten Umgebung draußen vor den Fenstern nichts anzufangen vermochten.
Wann würde der Gesuchte sich endlich zeigen?
Während der MIB menschliche Aktivitäten entwickelte, die zu seiner äußeren Tarnung paßten, wartete er gelassen. Ungeduld war in seinem Programm nicht vorgesehen.
***
Derweil schloß Lucifuge Rofocale das Weltentor, das vorübergehend zwei Dimensionen miteinander verknüpft hatte. Der Strom der Kräfte verebbte allmählich. Ein rasches Schließen wie bei kleinen Toren, durch die gerade mal ein oder zwei Menschen zugleich schlüpfen konnten, war hier nicht angebracht. Es konnte zu recht unangenehmen Begleiterscheinungen kommen, zu Schockwellen, die nicht nur das Gefüge der Erde, sondern auch das der Schwefelklüfte empfindlich stören. Deshalb mußte der Erzdämon sehr vorsichtig arbeiten. So konnte er sich vorerst noch nicht um sein Opfer, Lord Saris, kümmern. Aber der Lord lief ihm ja nicht weg - jetzt nicht mehr. Er würde sich sehr wundern, wenn er begriff, in welche unentrinnbare Falle er geraten war. Und selbst wenn er einen Fluchtversuch unternahm - sollte er es doch tun! Sein Körper war in den letzten Monaten stark gealtert. Das hinterließ Spuren. Lord Saris würde den Strapazen keinesfalls mehr gewachsen sein. Vor einem Jahr hätte das noch ganz anders ausgesehen.
Immer noch fuhr der Zug tiefer in die Höllendimension hinein, während die Überlappungszone hinter ihm kleiner wurde. Immer noch war ein ständiger Austausch möglich, und es konnte gut sein, daß dieser auch stattfand -Tiere, die von einer Welt in die andere wechselten, ohne zu ahnen, was mit ihnen geschah. Das störte Lucifuge Rofocale nicht im geringsten. Kreaturen, die von der Erde in die Hölle wechselte, hatten keine lange Lebenserwartung mehr, und der Erde konnte es nicht schaden, wenn fortan ein paar Höllenwesen sie bevölkerten…
Ein paar Schneeflocken wirbelten herein. Sie schmolzen schneller, als ein Gedanke verfliegt, und regneten kochend heiß zu Boden.
Genauso würde auch die Erbfolge vergehen. Aber Lord Saris sollte vorher noch erfahren, wem er seinen Untergang verdankte.
***
Sir Bryont erwachte. Sein Kopf schmerzte. Er rollte sich vorsichtig auf die Seite und tastete nach seiner Stirn. Da klebte Blut. Er erinnerte sich - er war nach vorn gestürzt und mit dem Kopf gegen die Zugwand geschlagen. Das hatte ihm die Besinnung geraubt.
Etwas hatte ihn angesprungen und zu Fall gebracht! Das Tier mit den Krallen, das sich kratzend an seinem Koffer verewigt hatte?
Aber warum hatte es ihn dann nicht gebissen? Saris spürte keine weitere Verletzung außer der blutigen Schramme an der Stirn.
Vorsichtig richtete er sich auf. Der Zug fuhr immer noch in völliger Dunkelheit. Das einzige Licht drang von draußen durch die beschlagenen Fensterscheiben. Rotes, düsteres Licht, mal etwas dunkler, dann etwas heller.
Höllenfahrt! durchzuckte es ihn.
Er wandte sich zu seinem Abteil um - und glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. »He!« rief er. »Was zum Teufel machen Sie da?«
Der Mann, der seinen Koffer geöffnet hatte, zuckte zusammen. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er noch blasser zu werden, dann aber reagierte er blitzschnell und griff unter seine Jacke.
Saris stieß sich von der Wand ab und katapultierte sich wie eine Kanonenkugel in sein Abteil. Er prallte gegen den Mann, ehe der seine Pistole hervorziehen konnte, und stieß ihn gegen die Außenwand. Gleichzeitig spürte er bohrende Kopfschmerzen; die Stirnverletzung machte sich bemerkbar. Die Hand des Lords schnellte hoch; mit Daumen und Zeigefinger berührte er die Schläfen des Mannes und erwartete, ihn im nächsten Moment bewußtlos zusammensinken zu sehen. Aber der Endfünfziger tat ihm den Gefallen nicht. Er stieß Saris von sich und schüttelte sich benommen. Die Pistole hielt er jetzt in der Hand, richtete sie langsam auf Saris. Er spannte den Hahn.
»Immer langsam mit den jungen Pferden«, sagte er. »Sie könnten sich sonst wehtun, Sir.«
Seine Stimme klang abgehackt und monoton. Saris betrachtete seine Hand. Er spürte die Llewellyn-Magie darin. Aber sie hatte
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