0493 - Janes Umkehr
Kessel und in die Flammen. Der Widerschein tanzte über ihre Gesichter.
Schatten und Licht wechselten sich ab. In den Augen der Hexen wirbelten Lichtreflexe, kleine Funken, die aussahen, als würden die Pupillen zersprühen.
Niemand sprach, aber drei Augenpaare richteten sich auf Edwina, die sich mit einem Ruck erhob und auf den Kessel zuging. Die anderen Hexenschwestern wußten Bescheid. Ihre Anführerin würde die Probe aufs Exempel machen. Erst wenn die positiv verlaufen war, konnten sie den eigentlichen Vorgang einleiten.
Die Hexe trat bis an den Rand des Kessels, hob den Arm und tunkte ihre Hand in den Dampf. Niemand sah, daß sie den Zeigefinger ausstreckte und ihn in das breiige Gebräu stach. Sie rührte einmal um. Obwohl der Sud mittlerweile fast kochend geworden war, verbrannte sie sich nicht, zog den Finger wieder hervor und hielt ihn unter ihre Nase.
Sie schnüffelte wie ein Hund an der Spur eines Artgenossen. Als sie die Hand wieder sinken ließ, begann sie langsam zu nicken. Gleichzeitig zogen sich ihre Lippen in die Breite. Sie deutete so etwas wie ein Lächeln an, und ihre drei Schwestern wußten Bescheid.
Es war soweit!
Sie standen auf. Ruckartig schoben sie ihre mageren Körper in die Höhe. »Sollen wir schon?«
»Ja, wir holen es.«
Zu viert hoben sie das Skelett an, schafften es bis dicht an den Trog und hievten es über den Rand hinweg.
Sie ließen es nicht heftig fallen, reckten sich und stellten sich auf die Zehenspitzen, bevor sie die Arme so bogen, daß der fleischlose Körper in das Gebräu getunkt werden konnte.
Die blubbernden Geräusche verstummten für einen Moment. Ein Saugen und Schmatzen war zu hören, als wollte das Zeug sein Opfer an sich reißen und es in irgendwelche Tiefen zerren.
Das Skelett verschwand!
Die vier Hexen waren zufrieden. Sie schauten nicht mehr nach. Dafür faßten sie sich an den Händen, bildeten wieder den Kreis und begannen mit ihrem Tanz um den Kessel.
Bisher waren sie still gewesen. Nun aber begannen sie mit ihrem schauerlichen Gesang.
Es schwangen schrille Laute durch die Einsamkeit der Nacht. Manchmal verwandelten sie sich in heisere Schreie, dann wieder drang nur ein Stöhnen aus den Mäulern der heftig tanzenden und mit den Beinen zuckenden Hexen.
Ihre Füße stampften so hart auf den Boden, als wollten sie Löcher hineindrücken. Dumpfe Echos hallten dem Feuer entgegen. Die Flammen begannen stärker zu tanzen. Sie glitten höher, ihre Spitzen erreichten den Rand des Kessels.
Das Gebräu veränderte sich. Der Dampf nahm an Stärke zu, er quoll über und wehte den tanzenden Hexen widerlich stinkend gegen die Gesichter, was die vier nicht weiter störte. Sie empfanden dies als sehr angenehm.
Plötzlich war Schluß. Abrupt beendeten sie ihren Hexentanz, blieben auf der Stelle stehen und starrten von vier verschiedenen Seiten auf den Kessel.
Dort tat sich noch nichts. Das Gebräu köchelte vor sich hin. Der Dampf war schwächer geworden, nur noch sehr dünn schwebte er über der Kesselöffnung.
Etwas geschah.
Sie konnten nicht in den Kessel hineinschauen, aber sie bemerkten doch, daß er sich bewegte.
Er zitterte, auf dem Rost schien er wegrutschen zu wollen, und plötzlich stieg inmitten der letzten Dampfschwaden jemand aus dem Kessel.
Eine Gestalt, ein Mensch?
Jedenfalls war es kein Skelett mehr. Ein unheimlich aussehendes Wesen mit langen, weißgrauen Haaren.
Abandur kehrte zurück!
Als Skelett war er in die Masse hineingetunkt worden, als menschliches Monstrum tauchte der Hexenmeister wieder auf!
Und seine Dienerinnen begannen zu jubeln, bevor sie sich verneigten und ihre Gesichter auf den Boden preßten.
Abandur war da.
Jetzt konnte alles wieder so werden wie früher. Und diejenige, um die es ging, würde sich nicht wehren können…
***
Zuerst hatte man gedacht, daß es Mitglieder irgendeiner Friedensdemonstration gewesen wären, die eine Plattform des sehr hohen Schornsteins besetzt hielten. Von dieser Meinung war man abgekommen, als man durch die Ferngläser sah, wer dort oben tatsächlich hockte.
Nur eine Frau!
Sehr alt zudem, grau im Gesicht, aber mit einem langen Messer bewaffnet, mit dem sie vor ihrem Gesicht herumfummelte. Für die Beamten war klar, daß diese Frau entweder eine Verrückte sein mußte oder eine Lebensmüde, denn die Plattform um den Schornstein war nicht gerade breit, und das Gitter bot auch keinen sehr hohen Schutz.
Die Besetzerin wurde aufgefordert, ihren Platz zu verlassen. Das aber wollte sie
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