0494 - Hexen-Polterabend
Neugierde war, die sie beherrschte. Aufrecht blieb sie stehen und schaute Abandur direkt an, wie er sich aus der Dunkelheit löste, als wäre er einer Filmleinwand entsprungen.
Wie sollte sie ihn beschreiben?
Er trug das Haar, so wie Jane es früher getragen hatte. Sehr lang, dazu einen Mittelscheitel, aber von einer weißgrauen Farbe. Ebenso weißgrau wie das Fell der Jacke, die seinen Oberkörper bedeckte und an den Hüften aufhörte. Das gleiche Fell war auch um seine Beine gewickelt. Von den Knöcheln bis dicht unter die Knie. Die Oberschenkel blieben dabei frei.
Kleidung und Körperbau waren eigentlich unwichtig. Jane konzentrierte sich mehr auf das Gesicht.
Sie wußte nicht, wie sie es einordnen sollte, natürlich sah es menschlich aus, aber irgendwie besaß es auch Ähnlichkeit mit einem Tier.
Da war die kurze Nase. Sie wirkte aufgeworfen, zeigte in die Höhe, und die Nasenlöcher fielen besonders auf. Sie wirkten wie die Zugänge zu kleinen Höhlen.
Der Mund darunter bestand aus breiten Lippen. Aufgeworfen und wulstig wie zwei Schläuche, im Gegensatz dazu stand das Kinn. In seiner Form wirkte es fast weibisch. Es war nicht nur schmal, es lief auch vorn etwas spitz zu, die Rundung fiel kaum auf. Sehr glatt sah auch die Haut aus. Wie erneuert.
Das grauweiße, sehr glatte Haar rahmte das Gesicht ein. Es bildete einen dichten Vorhang und ließ dabei die hohe Stirn frei, wo dunkle Augenbrauen wie von einem Pinselstrich gezeichnet wirkten und bogenförmig in die Stirn hineinwuchsen. Die unter ihnen liegenden Augen zeigten einen kalten, starren, dämonischen Blick, der trotzdem ein gewisses Leben besaß und auf den Betrachter sezierend wirkte.
Er war hochgewachsen, ziemlich schlank. Dazu paßten auch die Hände mit den langen, dennoch kräftigen Fingern. Abandurs Arme baumelten lang an den beiden Körperseiten herab nach unten, die Finger waren ausgestreckt. Im Gegensatz zur hellen Haut sahen die Nägel dunkel aus, als wären sie noch poliert worden.
So kam er näher, und Jane konnte nicht anders. Sie mußte diesem Blick standhalten. Dabei hatte sie längst weiche Knie bekommen. Diese dämonische Person übte auf sie eine Anziehungskraft aus, die sie nie für möglich gehalten hätte. Sein Erscheinen reichte aus, um die Vergangenheit zu verdrängen.
Jane fühlte sich zu ihm mehr hingezogen als zu den Menschen. Möglicherweise lag es an der Wirkung des geheimnisvollen Tranks, der noch immer in ihren Adern rauschte.
Wie weltvergessen wartete sie auf Abandur und dessen Berührung. Er ließ sich trotz allem Zeit, blieb dicht vor ihr stehen und legte beide Hände auf ihre Schultern.
Es tat ihr gut, den Druck seiner Finger zu spüren. Um in sein Gesicht schauen zu können, mußte sie den Kopf anheben. Er senkte seinen ein wenig, weil er ihrem Blick auf keinen Fall ausweichen wollte.
Die Hexen hatten sich wieder aufgerichtet. Stumm und staunend betrachteten sie die Szene, wie ihr König seine Braut begrüßte. Er brachte sein Gesicht dicht an Janes Hals und berührte ihre Haut mit seinen breiten Lippen.
Die Frau schauderte…
Es war kein Schauder der Angst oder Furcht, sie spürte eine regelrechte Wohltat und auch einen Strom, der durch ihren Körper rann, an der Stirn begann und allmählich hinunterfloß, bis er die Zehenspitzen erreicht hatte.
Abandur hatte sie längst in seinen Bann geschlagen. Er streichelte sie. Es waren sanfte Bewegungen, und er ließ kaum eine Stelle an ihrem Körper aus.
Jane drückte sich zurück. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, schaute gegen den dunklen Himmel, wo sie auch das nicht ganz runde Auge des Mondes sah, der wie ein Beobachter zuschaute und es ebenso genoß wie Jane Collins.
Sie stöhnte leise auf. Automatisch begann sie sich unter den streichelnden Fingerkuppen Abandurs zu bewegen. Sie saugte seinen Geruch ein. Er bestand aus einer Mischung aus Frische, Kühle und alter Haut, die nach Grab und Friedhof roch.
Janes Knie zitterten. Sie hatte Mühe, sich überhaupt auf den Beinen zu halten.
Hätte der Dämon sie nicht gehalten, wäre sie längst gefallen. Ihr Atem pumpte, manchmal zischte er über die Lippen, und als Abandur endlich von ihr abließ, hatte sie weiche Knie bekommen und wunderte sich darüber, daß sie noch stehen konnte.
Bisher hatte er noch kein Wort gesagt. Erst als er sie umdrehte, begann er zu sprechen.
»Du wirst meine Braut werden und mit mir zusammen auf meinem Thron sitzen. Du hast einmal zu uns gehört, deshalb holen wir dich
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