0494 - Hexen-Polterabend
hatte sie den Eindruck, auch ihre Identität als Mensch abzugeben. Es flatterte zur Seite und sank ein Stück weiter nieder ins hohe Gras, wo es die Fläche bedeckte wie ein Teppich.
Marthel kam mit dem anderen Kleid. Sie trug es vorsichtig wie einen kostbaren Schatz.
Jane war nur noch mit ihrem knappen Slip bekleidet. Verlangend glitten die Blicke der Hexen über ihre Brüste. Gier trat in ihre Augen, aber auch Qual.
Marthel sprach aus, was die anderen dachten. »Ja, so schön waren wir auch einmal. So wunderschön, aber der Meister hat uns die Schönheit genommen, und wir haben sie ihm gern gegeben, das kann ich dir schwören. Auch du wirst ihm deine Schönheit gern geben, nicht wahr, kleine Jane?«
»Sicher.«
»Dann streife das Kleid über.«
Sie halfen ihr dabei. Jane spürte den neuen Stoff über ihre Haut rinnen.
Es war für sie ein Streicheln, als würde der Stoff aus zahlreichen Fingerspitzen bestehen, die dicht nebeneinanderlagen. Er war fest und weich zur gleichen Zeit, er kratzte und schmeichelte, er roch nach Frische und Moder - Gegensätze waren in ihm vereint, die Jane auf ihrer Haut spüren konnte.
»Na, wie gefällt dir dein Brautkleid?« wurde sie von den drei Hexen gleichzeitig gefragt.
»Es ist… es ist so anders.«
»Das stimmt, anders.« Marthel kicherte. »Ist es nicht wunderbar? In ihm sind Tod und Leben vereint. Es wurde aus der Haut eines Toten genäht und gleichzeitig aus den Blättern der Natur, denn das sind wir auch. Tod und Leben vereinigt dieses Kleid. Du kannst es riechen, du kannst es fühlen, du wirst dich an dieses Kleid gewöhnen, du wirst es nie mehr ablegen wollen, denn es ist ein Stück von dir.« Marthel trat einen Schritt zurück. »Dreh dich, Jane, dreh dich…«
Und Jane gehorchte. Sie schaute ins Leere, gab sich selbst Schwung und verlängerte diesen in eine Rechtsdrehung. Das Kleid machte die Bewegung mit, es begann zu fließen, wurde in die Höhe gehoben und bildete plötzlich einen Kreis.
Auch Jane drehte sich. Plötzlich fühlte sie sich frei, sie war ein Vogel, sie flog hinein in den Himmel, sah die Wolken, den Mond, die Nacht, die sich zusammen zu einem Kreisel formierten und sie hineinzogen in diesen Trichter, an dessen Ende der Mond wie ein helles, fahlgelbes Auge scharf glotzte.
Sie war ein Teil des Universums, sie gehörte dazu, ein Stern, ein Atom im All…
Schwindel, Taumel, Freunde, die »Herrlichkeit« des Bösen vereinigte sich zu einem nie erlebten Wirbel, von dem sich Jane fortgetragen fühlte. Ihr Gesicht hatte einen freudig starren Ausdruck angenommen, der Mund stand offen, in den Augen spiegelte sich der Glanz des Mondes wider, und die Haut wirkte ebenso durchsichtig wie das Licht des Mondes.
Es war wie ein Wunder…
Das Kleid führte sie, es gab ihr Schutz und ihr gleichzeitig den Blick frei in die andere Welt, die für normale Menschen nicht zugänglich war. Sie erkannte schreckliche Bilder, die Hölle öffnete sich ihr, Monstren grinsten sie an, der Tod verlor seinen Schrecken, und über allem stand die grinsende Fratze des Höllenfürsten, der plötzlich einen gewaltigen Schrei ausstieß.
Ein röhrender Ruf, der Aufschrei eines geknechteten drang an Janes Ohren, und ihr Schweben durch die andere Welt riß brutal ab.
Erst jetzt stellte sie fest, daß sie mit beiden Beinen auf dem Boden stand und die Reise nichts anderes als eine Halluzination gewesen war. Auch den Schrei hatte der Teufel nicht ausgestoßen, er war aus den Mäulern der drei Hexen gedrungen.
Sie hatten etwas gesehen und hatten durch ihre Schreie jemand begrüßen wollen.
Er kam.
Die Hexen zogen sich zurück, sie verbeugten sich dabei und flüsterten schwarzmagische Formeln.
Aus dem Dunkeln, schob er sich heran. Schatten innerhalb der Finsternis, der nur allmählich Konturen annahm.
Jane wußte auch ohne Erklärung, wer den Weg auf den Bluthügel gefunden hatte.
Es war Abandur, ihr Bräutigam!
Vergessen war das außergewöhnliche Kleid, das sie trug, vergessen auch die beiden Knochenstühle und ebenfalls die Hexen. Jane hatte nur noch Augen für Abandur.
Er kam auf sie zu. Ein Sieger, einer, der es geschafft hatte und dies genoß.
Schrecklich und faszinierend gleichzeitig. Ein Schönling, Macho und Dämon in einer Person.
Die Hexen verneigten sich. Sie jaulten dabei wie kleine Hunde, die auf ihr Fressen warteten und Angst davor hatten, daß man ihnen nichts geben würde.
Auch Jane verspürte eine gewisse Furcht. Sie wußte allerdings nicht, ob es auch
Weitere Kostenlose Bücher