0498 - Wenn Götter morden
Abdallah.
»Warte«, sagte Tendyke. »Verschone ihn! Ich biete dir einen Handel an, von dem du weit mehr hast als nur ein wenig Blut und Lebenskraft.«
Sekundenlang schien es, als ignoriere Nubis den Menschen. Er schien seine Worte nicht einmal wahrgenommen zu haben. Dann aber verharrte er in der Bewegung und wandte den Schakalkopf zu Tendyke. Er lachte bellend.
»Was könntest du mir schon anbieten, Mann der vielen Leben?« Tendyke schluckte. Ihm war klar, daß er vielleicht den großen Verrat all seiner ganzen langen Leben begehen würde.
»Die Freiheit«, sagte er heiser. »Die Unabhängigkeit von deinem Herrn.«
***
Tawaret sah die winzige Figur, die zwischen den Brüsten des weiblichen Opfers an einer Schnur hing. War die Göttin schon ohnehin nicht mit dieser mörderischen Art der Kraftgewinnung einverstanden, so störte es sie noch mehr, wenn Frauen zu Opfern wurden. Und hier hatte sie es auch noch mit einer Frau zu tun, die offenkundig Tawaret verehrte. Eine, die die Göttin noch nicht vergessen hatte wie die vielen Millionen anderen, die statt dessen Allah, dem Einzigen, huldigten, dieser neuzeitlichen Neuauflage Atons!
Diese Frau durfte nicht sterben.
Die Göttin Tawaret war es ihrer Anhängerin schuldig. Außerdem befand sich die Frau im gebärfähigen Alter. Das verpflichtete die Schutzherrin der werdenden Mutter erst recht. Solange die Möglichkeit bestand, daß diese Frau der Welt Kinder schenken konnte, durfte ihr nichts geschehen.
Haltet ein! rief Tawaret. Diese nicht! Sie steht unter meinem Schutz !
Sobeks Kopf flog herum. Der Krokodilgott, der am stärksten unter Steels Einfluß stand, protestierte. Was fällt dir ein? Willst du dich gegen uns stellen? Wir werden das Blut und das Leben dieser beiden trinken, um zu erstarken. Du wirst dich dem nicht widersetzen. Schon einmal hast du Verrat begangen. Ein zweites Mal werde ich es nicht dulden!
Auch Horus und Toth machten plötzlich Front gegen Tawaret. Drohende Impulse hämmerten auf die Göttin ein.
Aber diesmal ließ Tawaret sich nicht einschüchtern. Sobeks Erinnerung an ihre Traumsendung hatte etwas in ihr geweckt. Waren dies nicht die beiden Menschen, denen sie ihre Träume geschickt hatte, weil sie in den beiden etwas Besonderes gefunden hatte? Sie waren keine normalen Sterblichen. In ihnen war eine Kraft, die ein überstarkes Lebenspotential verriet.
Tawaret sondierte die beiden. Blitzschnell erfaßte sie, daß der Mann, der schon nackt auf dem Stein lag, bereit für das Todesritual, der einzige war, mit dem diese Frau jemals Kinder haben mochte.
Wir weden diese beiden nicht töten! Sie gehören zusammen, sagte Tawaret scharf. Sobek, einst waren wir Beschützer. Jetzt sind wir zu Mördern pervertiert! Sind wir wirklich so tief gesunken, oder gibt es noch den Weg zurück?
Du redest im Wahn, versetzte Sobek. Du weißt nicht mehr, was du sprichst. Wir werden nicht auf dich hören. Wir machen weiter.
Aber nicht diesen beiden! widersprach Tawaret. Ich lasse es nicht zu!
Sobek lachte höhnisch. Wie willst du es verhindern? Du allein gegen uns?
Tawaret handelte.
Sie stand dicht neben der Frau, brauchte bloß zuzufassen und hielt sie am Arm fest. Mit zwei Schritten war die Göttin am Altar, hatte dabei die Sterbliche mit sich gezogen, griff jetzt nach dem Mann.
Und mit beiden verschwand sie blitzschnell aus dem Tempel!
***
Tendyke bemühte sich, gelassen zu wirken. Dabei wußte er, daß Anubis seine Gefühle jederzeit durchschauen konnte, wenn er nur wollte. Vermutlich konnte Anubis Tendyke auch jederzeit wieder unter seine Kontrolle zwingen. Der Abenteurer hatte keine Ahnung, warum der Gott das nicht tat.
»Die Unabhängigkeit von meinem Herrn?« wiederholte Anubis. »Wie meinst du das? Ich habe keinen Herrn.«
»Doch. Jenen, der dich aus dem Dunkel ins Jetzt rief. Timothy Steel. Er ist dein Herr. Du bist sein Werkzeug, Anubis, nicht mehr. Du mußt tun, was er von dir will. Und mit dir und deinen Artgenossen will er ich erpressen, zu einer ganz bestimmten Haltung zwingen.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst, Mann der vielen Leben«, sagte Anubis.
»Du und deine Artgenossen«, sagte Tendyke. »Ihr tötet Menschen, um stark zu werden. Habe dich recht?« Dabei deutete er auf Abdallah, dessen entrückter Gesichtsausdruck verriet, daß der Todeskanditat von dem Gespräch gar nichts mitbekam. Er wartete nur darauf, dem Schakalgott endlich sein Leben schenken zu dürfen.
»Du hast recht«, sagte Anubis.
»Der Mann Timothy Steel,
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