05 - Denn bitter ist der Tod
sich.
»Möchtest du etwas trinken?« fragte sie. »Einen Whisky? Oder einen Cognac vielleicht?«
Er schüttelte den Kopf. Helen setzte sich in die Sofaecke, die dem Schaukelstuhl am nächsten war. Sie setzte sich nur auf die Kante und blieb so, vorgebeugt, den Blick auf ihre Schwester gerichtet, die Hände vorgestreckt, wie um sie zu stützen. Lynley setzte sich Penelope gegenüber. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was diese Veränderungen, die Penelope zeichneten, zu bedeuten hatten.
»Helen hat mir erzählt, daß du dienstlich hier bist«, sagte Penelope.
Er berichtete ihr das Wesentliche des Falls. Während er sprach, schaukelte sie. Der Stuhl knarrte gemütlich.
»Aber vor allem«, schloß er, »interessiert mich diese Sarah Gordon. Ich hoffte, du könntest mir vielleicht etwas über sie erzählen. Hast du von ihr gehört, Pen?«
Sie nickte. »Aber ja. Sie ist eine sehr bekannte Malerin. Die Lokalpresse hat sich kaum eingekriegt, als sie sich hier, in Grantchester, niederließ.«
»Wann war das?«
»Vor ungefähr sechs Jahren. Es war vor den Kindern.« Wieder das blasse Lächeln und ein Achselzucken. »Ich war damals noch als Restauratorin am Fitzwilliams. Das Museum hat einen großen Empfang für sie gegeben. Harry und ich waren dort. Wir haben sie kennengelernt. Wenn man das kennenlernen nennen kann. Es war eher, als würde man der Königin höchstpersönlich vorgestellt. Aber daran waren die Museumsleute schuld. Sarah Gordon selbst war überhaupt nicht prätentiös. Sehr nett und aufgeschlossen. Nach allem, was ich über sie gehört und gelesen hatte, hatte ich mir ein ganz anderes Bild gemacht.«
»Sie ist also eine bedeutende Künstlerin?«
»O ja. Damals, als ich sie kennenlernte, hatte sie gerade irgendeine königliche Auszeichnung bekommen, ich weiß nicht mehr was. Sie hatte die Königin porträtiert, und das Gemälde war von der Kritik sehr positiv aufgenommen worden. Sie hatte außerdem mehrere Ausstellungen an der Royal Academy gehabt, mit großem Erfolg, und galt allgemein als der neue Stern am Kunsthimmel.«
»Interessant«, meinte Lynley. »Dabei ist sie doch eigentlich gar keine ›moderne‹ Malerin, nicht wahr? Ich hätte gedacht, um in der Kunstszene als etwas Besonderes zu gelten, müßte man schon Neuland betreten. Aber das tut sie nicht. Ich habe ihre Arbeiten gesehen.«
»Weißt du, wichtiger, als eine neue Mode zu kreieren, ist es, einen Stil zu haben, der Sammler und Kritiker emotional anspricht. Wenn ein Künstler einen eigenen Stil entwickelt, wagt er etwas Neues. Und wenn dieser Stil internationale Anerkennung erlangt, ist seine Karriere gemacht.«
»Und das ist bei ihr der Fall?«
»Das würde ich schon sagen, ja. Sie hat einen sehr eigenen Stil. Sehr klar. Sehr entschieden. Angeblich mahlt sie sogar ihre eigenen Pigmente wie eine Art moderner Botticelli - oder zumindest hat sie das einmal getan -, so daß ihre Farben besonders schön sind.«
»Sie sagte etwas davon, daß sie eine Puristin gewesen sei.«
»Ja, das gehört zu ihr. Genauso wie ihre Zurückgezogenheit. Grantchester, nicht London. Die Welt muß zu ihr kommen. Sie geht nicht in die Welt hinaus.«
»Hast du mal an ihren Bildern gearbeitet, als du noch im Museum warst?«
»Wie denn? Sie ist eine zeitgenössische Künstlerin, Tommy. Ihre Bilder brauchen nicht restauriert zu werden.«
»Aber du hast sie gesehen? Du kennst sie?«
»Natürlich. Warum?«
Helen sagte: »Hat denn dieser Fall etwas mit ihr und ihrer Kunst zu tun, Tommy?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Sie sagte, sie habe seit Monaten nichts mehr geschaffen. Sie habe Angst, ihre Schaffenskraft verloren zu haben. Der Tag, an dem der Mord verübt wurde, war der, den sie für sich bestimmt hatte, um wieder mit dem Malen anzufangen. Es war wie ein Aberglaube. Entweder du fängst an diesem Tag an dieser Stelle wieder an oder du gibst für immer auf. Gibt es so etwas, Pen? Daß ein Künstler seinen kreativen Drang verliert und den Kampf um seine Wiedergewinnung so ungeheuer schwer findet, daß er sich äußere Hilfen schaffen muß, zum Beispiel, indem er einen bestimmten Tag für den Neuanfang festsetzt.«
Penelope richtete sich ein wenig auf. »Aber natürlich gibt es so etwas. Es sind schon Menschen verrückt geworden, weil sie glaubten, ihre Schaffenskraft verloren zu haben. Manche haben sich deshalb sogar das Leben genommen.«
Lynley hob den Kopf. Er sah, daß Helen ihn beobachtete. Beide waren sie bei Penelopes letzten
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