05 - Denn bitter ist der Tod
Worten sofort auf den gleichen Gedanken gekommen. »Oder einem anderen das Leben genommen?« fragte Helen.
»Der ihre Schaffenskraft lähmte«, fügte Lynley hinzu.
»Camille und Rodin?« meinte Penelope. » Die haben sich nun wirklich gegenseitig umgebracht. Zumindest im übertragenen Sinn.«
»Aber wie hätte denn diese Studentin Sarah Gordon in ihrer schöpferischen Arbeit behindern können?« fragte Helen. »Kannten sich die beiden überhaupt?«
»Vielleicht war es nicht das Mädchen, sondern der Vater«, antwortete Lynley. Aber noch während er sprach, hielt er sich im stillen die Argumente vor, die dagegensprachen. Der Anruf bei Justine Weaver, das Wissen um Elenas Laufgewohnheiten, die ganze Zeitfrage, die Waffe, mit der sie geschlagen worden war, das Verschwinden dieser Waffe. Relevant waren doch Motiv, Mittel und Gelegenheit. Aber die fehlten Sarah Gordon, alle drei.
»Ich habe Whistler und Ruskin erwähnt, als ich mich mit ihr unterhalten habe«, sagte er. »Ihre Reaktion war eindeutig. Vielleicht also war ihre Lähmung in den letzten Monaten die Folge eines Verrisses durch einen Kritiker.«
»Das wäre möglich, wenn sie negative Kritiken bekommen hätte«, meinte Penelope.
»Aber das war nicht der Fall?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Was lähmt dann die Schaffenskraft, Pen? Was fesselt die Leidenschaft?«
»Furcht«, antwortete sie.
Er sah Helen an. Sie senkte den Blick. »Furcht wovor?« fragte er.
»Vor dem Versagen. Vor der Zurückweisung. Die Angst davor, etwas von sich selbst zu geben und zusehen zu müssen, wie es niedergemacht wird.«
»Aber so etwas ist doch nicht geschehen?«
»Nein, aber das heißt noch lange nicht, daß sie nicht Angst hat, es könnte einmal geschehen. Viele scheitern an ihrem eigenen Erfolg.«
Penelope blickte zur Tür, als draußen in der Küche der Kühlschrank zu surren begann. Sie stand auf. »So ein Gespräch habe ich schon lange nicht mehr geführt.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und lächelte Lynley an. »Es war schön.«
»Du hast aber auch eine Menge zu sagen.«
»Früher mal, ja.« Sie ging zur Treppe und winkte ab, als er aufstehen wollte. »Ich sehe nach der Kleinen. Gute Nacht, Tommy.«
»Gute Nacht.«
Helen sprach erst, als sie oben die Tür gehen hörten. »Das hat ihr gutgetan«, sagte sie. »Das mußt du gewußt haben. Danke dir, Tommy.«
»Nein. Es war der reine Egoismus. Ich wollte mich informieren, und ich glaubte, daß Pen mir helfen könnte. Das war alles. Oder nein, nicht ganz. Ich wollte dich sehen, Helen. Diese Sehnsucht scheint nie aufzuhören.«
Sie stand auf, und er folgte ihr. Sie gingen zur Haustür. Er nahm seinen Mantel, doch ehe er ihn anzog, drehte er sich nach ihr herum und sagte impulsiv: »Miranda Webberley tritt morgen mit einer Jazz-Band in der Trinity Hall auf. Kommst du mit?« Als er sah, daß ihr Blick zur Treppe flog, fügte er hinzu: »Nur ein paar Stunden, Helen. So lange wird Pen doch allein mit ihnen fertigwerden. Sonst schnappen wir uns Harry im Emmanuel und schleppen ihn her. Oder wir engagieren einen von Sheehans Constables. Das wäre für Christian wahrscheinlich das beste. Also - kommst du mit? Randie bläst nicht schlecht. Ihr Vater sagt, sie habe sich zu einem weiblichen Dizzy Gillespie entwickelt.«
Helen lächelte. »Also gut, Tommy. Ja. Ich komme mit.«
Er war glücklich, obwohl er den Verdacht hatte, daß sie ihn nur begleitete, um ihm dafür zu danken, daß er Pen für eine halbe Stunde aus ihrem Elend geholfen hatte. »Gut«, sagte er. »Ich hole dich um halb acht ab. Ich würde ja sagen, wir essen vorher irgendwo etwas, aber ich will nicht zuviel verlangen.« Er warf sich den Mantel über die Schultern. Die Kälte würde ihm nichts anhaben können.
Sie spürte wie immer, was in ihm vorging. »Es ist nur ein Konzert, Tommy.«
»Das weiß ich. Außerdem würden wir es vor dem Frühstück für die Kinder sowieso nicht bis Gretna Green und zurück schaffen. Aber selbst wenn es möglich wäre - mein Traum war es nie, mich vom Dorfschmied trauen zu lassen, du bist also relativ sicher. Wenigstens für einen Abend.«
Ihr Lächeln wurde heller. »Das ist sehr beruhigend.«
Er berührte leicht ihre Wange. »Wenn es dir nur gutgeht, Helen. Das ist mir das Wichtigste.«
Sie neigte ganz leicht den Kopf zur Seite und drückte ihre Wange an seine Hand.
Er sagte: »Du versagst diesmal nicht. Bei mir nicht. Das erlaube ich dir einfach nicht.«
»Ich liebe dich«, sagte sie.
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