05 - Denn bitter ist der Tod
der Art und Weise, wie die Polizei im letzten Frühjahr einen Selbstmord behandelte, Unstimmigkeiten gegeben. Grobe Fahrlässigkeit, behauptete der Vizekanzler; außerdem seien vertrauliche Informationen an die Presse weitergegeben worden. Da das Mädchen die Tochter eines der Professoren ist, möchte man nun, daß alles mit größtem Takt und Feingefühl behandelt wird.«
»Gefragt ist Inspector Herzlieb«, bemerkte Hale mit sarkastisch herabgezogenen Mundwinkeln. Sie wußten alle, daß es ein ziemlich plumper Versuch von ihm war, sich als voreingenommen hinzustellen. Hales Eheprobleme waren allgemein bekannt. Das letzte, was er jetzt brauchte, war ein sich ewig hinziehender Fall irgendwo in der Provinz.
Webberly ignorierte ihn. »Die Kollegen in Cambridge sind natürlich nicht glücklich über die Situation. Es ist ihr Revier. Sie sind der Auffassung, daß sie die Ermittlungen leiten sollten. Wir können also nicht erwarten, daß sie sich vor Hilfsbereitschaft überschlagen werden, wenn wir kommen. Aber ich habe kurz mit dem zuständigen Superintendent gesprochen - einem gewissen Sheehan... Er scheint in Ordnung zu sein, und sie werden sich auf jeden Fall nicht querstellen. Er ärgert sich, daß man nicht bereit ist, ihm und seinen Leuten freie Hand zu lassen, aber er weiß natürlich auch, daß er überhaupt nichts erreichen wird, wenn die Universität ihre Kooperation verweigert.«
Ehe er fortfahren konnte, kam Dorothea Harriman ins Zimmer und legte ihm mehrere Blätter Papier mit dem Briefkopf der Polizei Cambridge auf den Tisch. Naserümpfend sammelte sie Plastikbecher und überquellende Aschenbecher ein, die zwischen Heftern und Berichten herumstanden, warf die Becher in den Papierkorb und trug die Aschenbecher mit ausgestrecktem Arm hinaus.
Noch beim Lesen des Berichts gab Webberly die enthaltenen Informationen an seine Mitarbeiter weiter.
»Viel ist das bis jetzt nicht«, sagte er. »Zwanzig Jahre alt. Elena Weaver.« Er gab dem Vornamen des Mädchens eine italienische Betonung.
»Ausländerin?« fragte Stewart.
»Das glaube ich nicht. Der Rektor des College sagte jedenfalls nichts davon. Die Mutter lebt in London, und der Vater ist, wie ich schon sagte, Professor an der Universität. Er ist einer der aussichtsreichsten Anwärter auf den PenfordLehrstuhl für Geschichte, was auch immer das ist. Jedenfalls scheint er auf seinem Gebiet eine Kapazität zu sein.«
»Daher die Extrawurst«, bemerkte Hale bissig.
»Sie haben noch keine Autopsie vorgenommen«, fuhr Webberly fort, »aber grob geschätzt dürfte der Tod vergangene Nacht zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens eingetreten sein. Das Gesicht wurde mit einem schweren stumpfen Gegenstand zertrümmert, und dann wurde sie, den ersten Untersuchungen zufolge, erdrosselt.«
»Vergewaltigung?« fragte Stewart.
»Bisher kein Hinweis darauf.«
»Zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens?« fragte Hale. »Aber Sie sagten doch, sie sei nicht auf dem Collegegelände gefunden worden.«
Webberly nickte. »Richtig. Sie ist am Fluß gefunden worden.« Stirnrunzelnd las er die restlichen Informationen, die man ihm aus Cambridge gefaxt hatte. »Sie hatte einen Jogginganzug und Joggingschuhe an. Man vermutet deshalb, daß sie zum Lauftraining unterwegs war, als sie überfallen wurde. Die Leiche war mit Blättern zugedeckt. Irgendeine Malerin ist gegen Viertel nach sieben heute morgen über sie gestolpert. Und hat sich, wie Sheehan mir sagte, gleich an Ort und Stelle übergeben.«
»Doch hoffentlich nicht über die Leiche«, sagte MacPherson.
»Das wäre schlimm für die Freunde von der Spurensicherung«, meinte Hale.
Die anderen lachten gedämpft. Webberly störte sich nicht daran. Im jahrelangen Umgang mit Mord entwickelte auch der Sensibelste ein dickes Fell.
»Die werden voraussichtlich auch so mehr als genug zu tun haben«, gab er zurück.
»Wieso?« fragte Stewart.
»Das Mädchen wurde auf einer Insel gefunden, die anscheinend ein beliebter Treffpunkt für Liebespärchen und andere Leute ist. Sie haben ungefähr ein halbes Dutzend Säcke voll Müll eingesammelt, der analysiert werden muß.« Er warf den Bericht auf den Tisch. »Das ist im Moment alles, was wir wissen. Keine Autopsie. Keine Vernehmungsprotokolle. Wer den Fall übernimmt, muß also ganz von vorn anfangen.«
Lynley griff nach dem Bericht, setzte seine Brille auf und las schweigend. Als er fertig war, sagte er: »Ich mach das.«
»Ich dachte, Sie arbeiten noch an dem
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