05 - Denn bitter ist der Tod
hatte sich kürzlich die Haare schneiden lassen, hinten und an den Seiten ziemlich kurz, vorn eine lange blonde Schmachtlocke, die ihr mit eingefärbten goldenen Glanzlichtern tief in die Stirn fiel. Sie trug ein rotes Wollkleid und passende Pumps und dazu weiße Strümpfe. Unglücklicherweise schmeichelte ihr Rot so wenig wie der Prinzessin. Aber wie die Prinzessin hatte sie bemerkenswerte Fesseln.
»Superintendent Webberly?« fragte sie und nickte den Beamten am Tisch so kühl und sachlich zu, als habe sie nichts als ihre Arbeit im Kopf.
»Wenn Sie sich einen Moment vom Gespräch über die Prinzessin losreißen könnten...« sagte Webberly.
Dorothea Harriman sah ihn mit großen Kinderaugen an. Welche Prinzessin? fragte ihre Unschuldsmiene.
»Wir erwarten ein Fax aus Cambridge«, fuhr er fort. »Kümmern Sie sich darum. Jetzt gleich bitte. Sollten inzwischen Anrufe aus dem Kensington Palace für Sie kommen, werde ich die Herrschaften bitten zu warten.«
Harriman preßte die Lippen aufeinander, konnte aber ein spitzbübisches Lächeln nicht ganz unterdrücken. »Fax«, wiederholte sie knapp. »Cambridge. Sofort, Superintendent.« Und ehe sie zur Tür hinausging, sagte sie noch: »Charles hat dort studiert, wie Sie vielleicht wissen.«
John Stewart blickte auf und klopfte sich mit seinem Füller nachdenklich an die Zähne. »Charles?« fragte er leicht verwirrt.
»Wales«, sagte Webberly.
»Wales?« rief Stewart. »Ich denke, es war Cambridge.«
»Prinz von Wales!« rief Hale ungeduldig.
»Der Prinz von Wales ist in Cambridge?« fragte Stewart. »Aber das ist doch Sache des Special Branch. Uns geht das nichts an.«
»Lieber Himmel!« Webberly zog Stewart den Bericht weg, an dem er gearbeitet hatte und rollte ihn zu Stewarts Entsetzen zu einer Röhre zusammen. »Nichts Prinz«, sagte er, die Röhre schwenkend. »Nur Cambridge. Klar?«
»Sir.«
»Danke.« Webberly bemerkte mit Erleichterung, daß MacPherson endlich sein Taschenmesser weggelegt hatte und Lynley ihn mit seinen unergründlichen dunklen Augen, die in so starkem Gegensatz zu seinem blonden Haar standen, aufmerksam ansah.
»Es geht um einen Mord, der gestern nacht in Cambridge verübt worden ist. Man hat uns ersucht, die Ermittlungen zu übernehmen«, sagte Webberly und schnitt mit einer kurzen abgehackten Handbewegung alle Kommentare und Einwände ab. »Ich weiß. Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern. Vor zwei Wochen habe ich noch große Töne gespuckt, und jetzt habe ich den Salat. Schmeckt mir gar nicht, das können Sie mir glauben.«
»Hillier?« fragte Hale scharfsinnig.
Chief Superintendent Sir David Hillier war Webberlys Vorgesetzter. Wenn das Gesuch von ihm gekommen war, dann war es kein Gesuch, dann war es Gesetz.
»Nicht direkt. Hillier ist einverstanden. Er kennt den Fall. Aber das Gesuch war an mich direkt gerichtet.«
Drei der Männer tauschten neugierige Blicke; der vierte, Lynley, sah Webberly unverwandt an.
»Ich muß improvisieren«, fuhr Webberly fort. »Ich weiß, daß Sie alle im Augenblick bis zum Hals in Arbeit stecken. Ich kann jemanden aus einer der anderen Abteilungen bitten, aber ich würde es lieber nicht tun.« Er reichte Stewart seinen Bericht zurück und wartete schweigend, während er mit peinlicher Gewissenhaftigkeit die Papiere wieder glättete. Dann sprach er weiter. »Es handelt sich um den Mord an einer Studentin. Sie war im zweiten Jahr am St. Stephen's College.«
Darauf reagierten alle vier. Eine abrupte Bewegung, ein fragender Ausruf, ein scharfer Blick in Webberlys Gesicht. Sie wußten alle, daß Webberlys Tochter am St. Stephen's College studierte. Webberly sah die Besorgnis auf ihren Gesichtern.
»Es hat nichts mit Miranda zu tun«, beruhigte er seine Mitarbeiter. »Aber sie hat das Mädchen gekannt. Das ist einer der Gründe, weshalb man sich an mich gewandt hat.«
»Aber nicht der einzige«, warf Stewart ein.
»Richtig. Mich haben der Rektor des St. Stephen's College und der Vizekanzler der Universität angerufen. Für die örtliche Polizei ist die Sache nicht ganz einfach. Sie ist einerseits berechtigt, nach eigenem Ermessen zu handeln, da der Mord nicht auf dem Collegegelände verübt wurde. Andererseits ist sie, da das Opfer an einem College eingeschrieben war, bei ihren Ermittlungen auf die Kooperation der Universität angewiesen.«
»Und ist die Uni etwa nicht bereit zu kooperieren?« fragte MacPherson ungläubig.
»Sie zieht eine außenstehende Behörde vor. Es hat offenbar wegen
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