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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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hätte: Drake, Leiter der gerichtsmedizinischen Abteilung, einer der beiden sich ewig in den Haaren liegenden Wissenschaftler, die Sheehan in den vergangenen fünf Monaten das Leben schwer gemacht hatten. Frönt wie immer seiner Lust am großen Auftritt, dachte Sheehan.
    »Was gefunden?« fragte er.
    Drake blieb stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er drückte die Flamme des Streichholzes zwischen den Fingern aus und ließ das Hölzchen in eine kleine Dose fallen, die er aus der Manteltasche zog. Sheehan verkniff sich einen Kommentar. Der Bursche war doch wirklich für jede Eventualität gewappnet.
    »Uns fehlt eine Waffe«, sagte er. »Ich fürchte, wir werden im Fluß danach suchen müssen.«
    Na prächtig, dachte Sheehan und berechnete im Kopf, wieviel Zeit und Personal die Durchführung einer solchen Operation kosten würde. Er trat zu der Leiche, um sie sich näher anzusehen.
    »Weiblich«, bemerkte die Biologin. »Ein ganz junges Ding.«
    Während Sheehan schweigend zu dem jungen Mädchen hinunterblickte, fiel ihm auf, wie unglaublich laut es rundherum war. Von der Ruhe des Todes war hier nichts zu spüren. Hupen dröhnten vom Causeway herüber, Motoren ratterten, Bremsen quietschten, Menschenstimmen mischten sich mit dem allgemeinen Getöse. In den Bäumen krakeelten die Vögel, und irgendwo kläffte ein Hund. Das Leben ging weiter.
    Das Mädchen war durch Gewalteinwirkung umgekommen, daran gab es keinen Zweifel. Man hatte sie mit Laub zugedeckt, doch nicht so gründlich, daß Sheehan nicht das Schlimmste gesehen hätte. Der Mörder hatte ihr Gesicht zertrümmert. Die Schnur der Kapuze ihrer Joggingjacke war fest um ihren Hals gezogen. Ob sie an den Kopfverletzungen gestorben war oder durch Erdrosseln, würde der Pathologe feststellen müssen, eines jedoch war klar: Niemand würde ihr Gesicht identifizieren können. Es war bis zur Unkenntlichkeit zerstört.
    Sheehan ging in die Knie, um die Tote genauer zu mustern. Sie lag auf der rechten Seite, das Gesicht zur Erde gewandt, ihr langes Haar war nach vorn gefallen und ruhte in losen Locken auf dem Boden. Die Arme befanden sich vor dem Körper, die Handgelenke dicht beieinander, aber nicht gebunden. Ihre Knie waren angewinkelt.
    Nachdenklich kaute er auf der Unterlippe, sah zum Fluß, der vielleicht anderthalb Meter entfernt war, dann wieder zu der Toten. Sie hatte einen fleckigen braunen Jogginganzug an und weiße Joggingschuhe mit schmutzigen Bändern. Sie war schlank. Sie wirkte sportlich und durchtrainiert. Sie schien genau das Politikum zu sein, auf das er mit Freuden verzichtet hätte. Er hob ihren Arm, um zu sehen, ob ihre Jacke ein Emblem trug, und seufzte resigniert, als er auf der linken Brustseite der Jacke ein aufgenähtes Wappen vom St. Stephen's College entdeckte.
    »Verdammt!« brummte er. Er ließ den Arm wieder herabsinken und nickte dem Fotografen zu. »Machen Sie zu«, sagte er und entfernte sich.
    Er sah zum Coe Fen hinüber. Der Nebel schien sich zu lichten, aber vielleicht sah das im zunehmenden Tageslicht nur so aus, war flüchtige Illusion, Wunschdenken. Es spielte im Grunde sowieso keine Rolle, ob der Nebel da war oder nicht, Sheehan war in Cambridge geboren und aufgewachsen, er wußte, was jenseits der undurchdringlichen Feuchtigkeit lag. Peterhouse. Gegenüber, Pembroke. Links von Pembroke Corpus Christi. Von dort aus reihte sich in nördlicher, westlicher und östlicher Richtung ein College an das andere. Und r und um sie herum, der Universität, der sie ihre Existenz zu verdanken hatte, unterstellt, breitete sich die Stadt aus. In dem Nebeneinander von Colleges, Fakultäten, Bibliotheken, Geschäfts- und Privathäusern, Studenten, Dozenten und Bürgern von Cambridge spiegelten sich sechshundert Jahre widerwilliger Symbiose.
    Er drehte sich um, als er Bewegung hinter sich spürte, und sah direkt in die scharfen grauen Augen Drakes. Der Wissenschaftler hatte offenbar gewußt, was zu erwarten war. Lange schon hatte er auf eine Gelegenheit gehofft, seinem Mitarbeiter im Labor die Daumenschrauben anzulegen.
    »Ich denke, in diesem Fall wird wohl keiner behaupten, daß es sich um Selbstmord handelt«, sagte er.

    Superintendent Malcolm Webberly von New Scotland Yard drückte seine dritte Zigarette innerhalb ebenso vieler Stunden aus und sah nachdenklich in die Runde. Wieviel Erbarmen würden seine divisional inspectors walten lassen, wenn er sich jetzt gleich fürchterlich zum Narren machte? In Anbetracht von Länge und Lautstärke

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