05 - Denn bitter ist der Tod
besser?«
»Nein, natürlich nicht. Aber wir haben bisher keinen Beweis für Ihre Verführungstheorie.«
»Mein Gott! Sie war schwanger! Irgend jemand muß sie doch verführt haben.«
»Oder sie hat jemanden verführt. Oder sie haben sich gegenseitig verführt.«
»Oder - wie Sie selbst meinten - sie ist vergewaltigt worden.«
»Vielleicht. Aber da habe ich inzwischen meine Zweifel.«
»Wieso?« Barbaras Ton war kampflustig. »Sind Sie vielleicht der typisch männlichen Meinung, sie hätte sich hingelegt und die Sache genossen?«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Das sicher nicht.«
»Was dann?«
»Sie hat Thorsson wegen sexueller Belästigung gemeldet. Wenn sie bereit war, das zu tun und sich einer möglicherweise peinlichen Untersuchung auch ihres eigenen Verhaltens auszusetzen, dann hätte sie eine Vergewaltigung nicht verschwiegen.«
»Und wenn sie von einem Freund vergewaltigt worden ist, Inspector? Bei einer Verabredung. Von einem Mann, mit dem sie sich zwar hin und wieder getroffen hat, aber mit dem sie keine nähere Beziehung wollte.«
»Dann haben Sie soeben Thorsson als Täter eliminiert.«
»Sie halten ihn wirklich für unschuldig.« Sie schlug mit der Faust auf das Lenkrad. »Sie suchen ja förmlich nach Möglichkeiten, ihn zu entlasten, stimmt's? Sie wollen das unbedingt einem anderen anhängen. Wem?« Im selben Moment schien sie zu begreifen, und sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Aber nein! Sie können doch nicht glauben -«
»Ich glaube gar nichts. Ich bin auf der Suche nach der Wahrheit.«
Sie bog links in Richtung Cherry Hinton ab, fuhr an einer Grünanlage vorbei, auf der gelb leuchtende Kastanien standen. Zwei junge Frauen schoben dort ihre Kinderwagen spazieren.
Es war kurz nach acht, als sie vor Thorssons Haus hielten. In der schmalen Auffahrt stand ein tadellos hergerichteter alter Tr-6, dessen bauchige grüne Kotflügel in der Morgensonne funkelten.
»Nicht übel.« Barbara musterte das Museumsstück. »Genau das Fahrzeug, das man bei einem überzeugten Marxisten erwartet.«
Lynley trat näher an den Wagen heran. Perlende Nässe lag auf der Karosserie. Nur die Windschutzscheibe war frei. Lynley legte seine Hand auf die Kühlerhaube und spürte einen letzten Hauch Motorwärme. »Er scheint heute auch erst am Morgen nach Hause gekommen zu sein«, sagte er.
Sie gingen zur Haustür. Lynley läutete, während Barbara ihr Schreibheft aus ihrer Tasche kramte. Als im Haus alles still blieb, läutete Lynley noch einmal. »Augenblick!« rief jemand von drinnen. Es dauerte länger als einen Augenblick, ehe sich hinter dem Milchglas der Haustür ein Schatten zeigte, der näher kam.
Thorsson trug einen Morgenrock aus schwarzem Samt. Er war noch dabei, den Gürtel zu knoten, als er die Tür öffnete. Sein Haar war feucht. Es hing ihm lockig auf die Schultern. Er hatte nichts an den Füßen.
»Mr. Thorsson«, sagte Lynley statt einer Begrüßung.
Thorsson blickte seufzend von Lynley zu Barbara Havers. »Na wunderbar«, sagte er und fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. »Was ist eigentlich los mit Ihnen beiden? Was wollen Sie von mir?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich ab und ging ihnen durch einen kurzen Flur voraus in den rückwärtigen Teil des Hauses. Als sie hinter ihm in die Küche traten, war er schon dabei, sich aus einer Kaffeemaschine eine Tasse Kaffee einzuschenken. Erst blies er, dann trank er schlürfend.
»Ich würde Ihnen ja eine Tasse anbieten«, sagte er, »aber ich brauche morgens die ganze Kanne, um wach zu werden.« Damit schenkte er sich frischen Kaffee nach.
Lynley und Barbara setzten sich an einen Chromtisch mit Glasplatte vor einer Terrassentür. Draußen standen Gartenmöbel, darunter auch ein breite weiße Liege, auf der feucht und zerknittert eine Decke lag.
Lynley blickte nachdenklich von der Liege zu Thorsson. Thorsson sah zum Küchenfenster hinaus auf die Gartenmöbel. Dann richtete er den Blick wieder auf Lynley. Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Wir haben Sie anscheinend beim Morgenbad gestört«, bemerkte Lynley.
Thorsson trank von seinem Kaffee. Er trug ein flaches goldenes Kettchen um den Hals. Es lag glitzernd wie Schlangenhaut auf seiner Brust.
»Elena Weaver war schwanger«, sagte Lynley.
Thorsson lehnte sich mit der Kaffeetasse in der Hand an die Arbeitsplatte. Er machte ein desinteressiertes Gesicht. »Und Sie denken, daß ich keine Gelegenheit hatte, das bevorstehende Ereignis mit ihr zu feiern!« »Wäre eine
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