05 - Denn bitter ist der Tod
Jahre, wie du mir erzählt hast. Und es liegt über fünfzehn Jahre zurück. Du und ich hingegen...«
»Es spielt doch überhaut keine Rolle, wie lange ich mit ihr oder mit dir verheiratet war, Justine.«
»Doch! Es geht um Treue und Loyalität, um das Versprechen, das ich gegeben und gehalten habe. Ich war dir in jeder Hinsicht treu, während sie herumgeschlafen hat wie eine Hure, das weißt du ganz genau. Und jetzt erklärst du mir, ihre Wünsche zu respektieren, sei das mindeste, was du tun kannst? Sind denn ihre Wünsche wichtiger als meine?«
»Wenn du noch immer nicht begreifst, daß es Zeiten gibt, da die Vergangenheit...« begann Anthony, und dann trat Glyn in die Tür. Sie nahm sich nur einen Moment Zeit, um die beiden zu mustern, ehe sie zu sprechen begann. Justine stand an der großen Fensterwand zum Vorgarten. Sie trug ein schwarzes Kostüm und dazu eine perlgraue Bluse. An ihrem Stuhl lehnte ein schwarzer Aktenkoffer.
»Vielleicht möchten Sie den Rest auch noch sagen, Justine«, sagte Glyn. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wie die Mutter, so die Tochter. Das möchten Sie doch am liebsten sagen, nicht wahr?«
Justine wollte zu ihrem Stuhl zurückgehen. Glyn packte sie beim Arm. Sie grub ihre Finger in die feine Wolle der Kostümjacke und sah mit flüchtiger Genugtuung, wie Justine zusammenzuckte.
»Nun sagen Sie schon, was Sie denken«, fuhr sie fort. »Glyn hat Elena in die Schule genommen, Anthony. Glyn hat aus deiner Tochter ein Flittchen gemacht. Elena hat jeden rangelassen, der wollte, genau wie ihre Mutter.«
«Glyn!« sagte Anthony scharf.
»Versuch jetzt bitte nicht, sie in Schutz zu nehmen. Ich hab auf der Treppe gestanden. Ich hab gehört, was sie gesagt hat. Gerade mal drei Tage ist mein einziges Kind tot, ich versuche immer noch, irgendwie damit zurechtzukommen, und sie kann es nicht erwarten, uns beide in den Dreck zu ziehen. Und macht es am Sex fest. Sehr interessant.«
»Ich höre mir das nicht an«, sagte Justine.
Glyn hielt sie fester. »Können Sie die Wahrheit nicht ertragen? Sie benutzen den Sex doch als Waffe und nicht nur gegen mich.«
Glyn spürte, wie Justines Muskeln sich verhärteten. Sie wußte, daß ihr Hieb getroffen hatte und schlug gleich noch einmal zu. »Wenn er ein braver kleiner Junge war, wird er belohnt, wenn er böse war, wird er bestraft. Läuft es so? Ja? Und wie lange muß er dafür bezahlen, daß er Sie nicht zur Beerdigung mitkommen läßt?«
»Sie sind erbärmlich«, sagte Justine. »Sie denken doch nur an Sex. Genau wie...«
»Wie Elena?« Glyn ließ Justines Arm los. »Na bitte. Da haben wir's.«
Justine wischte sich den Ärmel, als wollte sie sich vom Kontakt mit der geschiedenen Frau ihres Mannes reinigen. Sie nahm ihren Aktenkoffer.
»Ich gehe«, sagte sie ruhig.
Anthony sprang auf und starrte sie an, als sähe er erst jetzt, wie sie gekleidet war. »Du kannst doch nicht im Ernst vorhaben... «
»...drei Tage nach Elenas Tod wieder zur Arbeit zu gehen? Mich dafür der öffentlichen Mißbilligung auszusetzen? Doch, Anthony, genau das habe ich vor.«
»Aber, Justine! Die Leute...«
»Hör auf. Ich bitte dich. Ich bin nicht so wie du.«
Anthony blickte ihr hilflos nach, als sie hinausging, ihren Mantel nahm, die Haustür hinter sich zuzog. Er sah sie durch den Nebel zu ihrem grauen Peugeot gehen. Glyn beobachtete ihn scharf, gespannt, ob er hinauslaufen und versuchen würde, Justine aufzuhalten. Aber er schien zu müde dazu. Er wandte sich vom Fenster ab und ging in sein Zimmer.
Glyn trat an den Frühstückstisch, der noch nicht abgeräumt war: kalter Schinkenspeck in erstarrtem Fett, Eigelb, das austrocknete und rissig wurde wie gelber Schlamm. Im Korb lag noch eine Scheibe Toast. Glyn nahm sie nachdenklich und zerrieb sie leicht zwischen den Fingern. Ein Schauer winziger Brösel rieselte auf den gepflegten Parkettboden.
Aus dem hinteren Teil des Hauses hörte sie das Geräusch schwerer Schubladen, die aufgezogen wurden, und lauter, das Winsel und Heulen von Elenas Setter, der ins Haus gelassen werden wollte. Sie ging in die Küche, von deren Fenster aus sie den Hund sehen konnte, der auf der Hintertreppe saß und die Nase an die Tür preßte, während er voll unschuldiger Hoffnung mit dem Schwanz schlug. Er sprang ein Stück zurück, blickte aufwärts und sah sie am Fenster. Er wedelte heftiger und kläffte einmal in freudiger Erwartung. Sie betrachtete ihn ruhig - ergötzte sich einen Moment daran, ihm Hoffnung zu machen -,
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