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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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nervöser als amüsiert war. »Sie brauchen kein Blatt vor den Mund zu nehmen.«
    Sie nahm ihn beim Wort. »Gut«, sagte sie. »Sie können zweifellos kopieren. Den Beweis haben wir hier. Aber können Sie kreieren?«
    Es tat nicht halb so weh, wie er gefürchtet hatte. »Stellen Sie mich auf die Probe«, versetzte er.
    Sie lächelte. »Mit Vergnügen.«
    In den folgenden zwei Jahren hatte er sich hineingestürzt, erst als Teilnehmer ihrer Kurse, dann als ihr Privatschüler. Im Winter arbeiteten sie am lebenden Modell im Atelier. Im Sommer fuhren sie mit Skizzenblöcken, Staffelei und Farben aufs Land hinaus und arbeiteten im Freien. Häufig zeichneten sie sich gegenseitig, zur Übung des Blicks und des Verständnisses für die menschliche Anatomie. Immer füllte sie den Raum, der sie umgab, mit Musik. Hör mir zu, wenn du einen Sinn anregst, regst du andere an, erklärte sie. Kunst kann nicht geschaffen werden, wenn der Künstler selbst ein gefühlloses Vakuum ist. Höre die Musik, versuche, sie zu sehen, fühle sie.
    Unter dem Eindruck ihrer Intensität und Hingabe hatte er das Gefühl bekommen, aus dreiundvierzig Jahren schwarzer Finsternis emporzutauchen, um endlich im Sonnenschein zu wandeln. Er fühlte sich völlig neu belebt, intellektuell herausgefordert. Er spürte, wie das Gefühl erwachte. Und sechs Monate lang, bevor sie seine Geliebte wurde, nannte er es sein leidenschaftliches künstlerisches Engagement. Das war ungefährlich. Das verlangte keine Entscheidung für die Zukunft.
    Sarah, dachte er und war erstaunt, daß er selbst jetzt noch - nach allem, nach Elena sogar - den Wunsch haben konnte, den Namen zu denken, den auszusprechen er sich die vergangenen acht Monate verboten hatte - seit Justine angeklagt und er gestanden hatte. Sarah.
    An einem Donnerstag abend, genau um die Zeit, zu der er immer kam, hatten sie vor dem alten Schulhaus gehalten. Seine Fenster waren erleuchtet, und im Kamin brannte ein Feuer - er konnte das Flackern durch die zugezogenen Vorhänge sehen. Er wußte, daß Sarah ihn erwartete, daß sie auf sein Läuten zur Tür laufen würde, um ihm zu öffnen; daß sie ihn ins Haus ziehen und sagen würde, Tony, ich habe eine ganz tolle Idee für das Bild von der Frau in Soho. Du weißt schon, das, mit dem ich jetzt schon seit drei Wochen nicht zu Rande komme...
    Ich kann nicht, sagte er zu Justine. Verlang das nicht von mir. Es wird sie vernichten.
    Es ist mir ziemlich egal, was mit ihr geschieht, sagte Justine und stieg aus dem Wagen.
    Sie war wohl zufällig gerade in der Nähe der Tür, als sie läuteten, denn sie öffnete sie im selben Moment, als der Hund zu bellen anfing. Sie rief über ihre Schulter, Flame, sei still, das ist Tony, du kennst doch Tony, dummer Kerl. Dann wandte sie sich der Tür zu und sah sie beide - ihn im Vordergrund, Justine einen halben Schritt zurück und das Porträt, das er in braunes Papier eingeschlagen unter dem Arm trug.
    Sie sagte nichts. Sie rührte sich nicht. Sie sah nur an ihm vorbei zu Justine, und ihr Gesicht spiegelte ihm seine Schuld.
    Sie traten ins Haus. Flame trottete mit einem verknoteten alten Socken zwischen den Zähnen aus dem Wohnzimmer und kläffte beim Anblick des Freundes erfreut.
    Jetzt, Anthony, sagte Justine.
    Ihm fehlte der Wille: es zu tun, sich zu weigern, selbst zu sprechen. Er sah Sarahs Blick, der auf dem Gemälde lag. Sie sagte: Was hast du mir da mitgebracht, Tony, als stünde Justine nicht an seiner Seite.
    Er hatte es mit Farben entstellt, aber das war nicht genug gewesen. Nur ein Menschenopfer reichte aus.
    Im Wohnzimmer stand eine Staffelei. Er packte das Gemälde aus und stellte es auf die Staffelei. Er erwartete, daß sie zu ihm hinstürzen würde, wenn sie die ungeheuren roten, weißen und schwarzen Flecken sah, die die Gesichter seiner Tochter verdeckten. Doch sie näherte sich dem Bild ganz langsam und stieß einen schwachen Schrei aus, als sie auf der unteren Rahmenleiste sah, was sie schon gewußt hatte, daß sie es sehen würde. Das kleine Messingschild. Elena.
    Er hörte, wie Justine sich bewegte. Er hörte, wie sie seinen Namen sagte, und er fühlte, wie sie ihm das Messer in die Hand drückte. Es war ein praktisches Messer zum Gemüseschneiden. Sie hatte es in der Küche ihres Hauses aus der Schublade genommen. Mach, daß es aus meinem Leben verschwindet, hatte sie gesagt. Mach, daß sie aus meinem Leben verschwindet. Du tust es heute abend, in meinem Beisein, damit ich auch sicher sein kann.
    Den ersten

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