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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Sanitäter angesichts des angerichteten Schadens getauscht hatten, fragte sich Lynley, wie dieses »Durchkommen« für Sarah Gordon, die Malerin, aussehen würde. Langsam ging er zum Haus zurück.
    Aus dem Atelier konnte er Barbaras scharfe Stimme hören und Anthony Weavers, der mit letzter Kraft Antwort gab. Er konnte die Leute von der Spurensicherung hören, die dort drinnen ihrer Arbeit nachgingen. Er hörte, wie eine Tür zugeschlagen wurde und St. James zu Superintendent Sheehan sagte: »Das ist der Stößel.« Aber er ging nicht zu ihnen.
    Sie hatte sich ihrer Kunst ganz gegeben. Als sie versucht hatte, sich auch im Leben ganz zu geben, war sie gescheitert.
    »Inspector?« Barbara Havers trat ins Zimmer.
    »Ich weiß nicht, ob er wirklich auf sie schießen wollte, Barbara. Er hat sie bedroht, ja. Aber der Schuß kann sich ebensogut versehentlich gelöst haben. Das muß ich vor Gericht aussagen.«
    »Gut dastehen wird er auf keinen Fall, ganz gleich, was Sie aussagen.«
    »Ach was, er braucht nur einen anständigen Anwalt und die Sympathie der Leute, dann hat er nichts zu fürchten.«
    »Kann sein. Sie haben jedenfalls Ihr Bestes getan.« Sie hielt ihm einen gefalteten weißen Zettel hin. »Hier, das hatte Weaver bei sich. Aber er wollte nichts dazu sagen.«
    Lynley nahm das Papier und entfaltete es. Es war eine Zeichnung, die einen Tiger zeigte, wie er ein Einhorn riß. Das Maul des Einhorns war weit aufgerissen zu einem lautlosen Schrei des Entsetzens und des Schmerzes.
    »Er sagte nur«, fuhr Barbara fort, »er habe es gestern in einem Briefumschlag in seinem Arbeitszimmer im College gefunden. Verstehen Sie das, Sir? Ich erinnere mich, daß Elena Weaver Poster mit Einhörnern in ihrem Zimmer aufgehängt hatte. Aber der Tiger - sagt mir gar nichts.«
    Lynley gab ihr den Zettel zurück. »Es ist eine Tigerin«, sagte er und verstand jetzt Sarah Gordons Reaktion, als er bei seinem ersten Gespräch mit ihr Whistler erwähnt hatte. Sie hatte sich nicht auf John Ruskins Kritik bezogen und auch nicht auf Whistlers Kunst und seine Versuche, die Nacht zu malen. Nein, bei der Erwähnung Whistlers hatte Sarah Gordon an die Frau gedacht, die Whistlers Geliebte gewesen war, an die namenlose kleine Midinette, die er La Tigresse genannt hatte. »Mit dieser Zeichnung hat sie ihm mitgeteilt, daß sie seine Tochter getötet hatte.«

23
    Barbara blieb der Mund offenstehen. »Aber warum?« »Um den Kreis der Zerstörung zu schließen, in dem sie beide gefangen waren. Er hatte ihr Werk zerstört. Sie wollte ihn wissen lassen, daß sie seines zerstört hatte.«
    Justine machte ihm auf, noch ehe er den Schlüssel umdrehen konnte. Sie hatte immer noch das schwarze Kostüm und die perlgraue Bluse an, und obwohl sie die Kleidungsstücke nun seit mindestens dreizehn Stunden trug, hatte sie nirgends das kleinste Fältchen. Sie hätte sie eben erst angelegt haben können.
    Sie sah an ihm vorbei den Rücklichtern des davonfahrenden Polizeiwagens nach. »Wo warst du?« fragte sie. »Wo ist dein Wagen? Anthony, wo hast du deine Brille?«
    Sie folgte ihm zu seinem Arbeitszimmer und blieb an der Tür stehen, während er in seinem Schreibtisch nach der alten Hornbrille suchte, die er schon lange nicht mehr aufsetzte.
    Seine Woody-Allen-Brille, hatte Elena sie genannt. Mit der siehst du aus wie ein alter Spießer, Dad. Er hatte sie nie wieder getragen.
    Er sah zum Fenster, in dessen dunkler Scheibe er sein Spiegelbild und dahinter das seiner Frau erkennen konnte. Sie war eine schöne Frau. In den zehn Jahren ihrer Ehe hatte sie wenig von ihm verlangt, nur daß er sie liebte und zu ihr stand. Dafür hatte sie dieses Heim geschaffen. Sie hatte ihn unterstützt, sie hatte an seine Karriere geglaubt, sie war absolut loyal gewesen. Aber jene tiefe innere Beziehung, die zwischen Menschen besteht, deren Seelen eins sind, hatte sie nicht herzustellen vermocht.
    Solange sie gemeinsame Ziele gehabt hatten, gemeinsame Projekte - das Haus, die Einrichtung, der Garten -, hatten sie sicher in der Illusion der idealen Ehe gelebt. Aber als diese gemeinsamen Projekte weggefallen waren - als das Haus gekauft und perfekt eingerichtet war, als der Garten angelegt und bepflanzt war und die blitzenden französischen Autos in der Einfahrt standen -, hatte er bei sich eine unerklärbare innere Leere entdeckt und ein quälendes Gefühl des Unerfüllten. Irgend etwas fehlte.
    Ich brauche ein Ventil für meine Kreativität, hatte er gedacht. Mehr als zwanzig Jahre

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