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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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so. Wann hatte er denn je für sich gehandelt? Außer daß er damals Glyn verlassen hatte. Und dafür hatte er fünfzehn Jahre lang bezahlt.
    »Anthony, antworte mir! Was ist passiert?«
    »Ich habe endlich ein Ende gemacht.« Er ging ins Wohnzimmer.
    »Anthony... «
    Er hatte einmal geglaubt, die Stilleben, die über dem Sofa hingen, seien sein Bestes. Mal doch etwas, das wir ins Wohnzimmer hängen können, Darling. In Farben, die passen. Er hatte es getan. Aprikosen und Mohn. Auf den ersten Blick konnte man sehen, was es sein sollte. Und war nicht eben das Kunst? Die genaue Abbildung der Wirklichkeit?
    Er hatte sie von der Wand genommen und mitgenommen, um sie ihr am ersten Abend des Malkurses stolz zu zeigen. Es machte nichts, daß in diesem Kurs mit lebenden Modellen gearbeitet werden sollte; sie sollte von Anfang an sehen, daß er allen anderen überlegen war, ein ungeschliffenes Talent, das nur darauf wartete, gebildet zu werden.
    Sie hatte ihn vom ersten Moment an überrascht. Auf einem hohen Hocker in einer Ecke ihres Ateliers sitzend, hatte sie zunächst einmal keinerlei Instruktionen oder Anweisungen gegeben. Sie hatte geredet. Die Füße hinter die Leisten des Hockers gehakt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen, so daß ihr dunkles Haar zwischen ihren Fingern hindurchfloß, hatte sie geredet.
    »Sie sind nicht hier, um zu lernen, wie man Farbe auf Leinwand aufträgt«, hatte sie zu der Gruppe gesagt. Sie waren zu sechst: drei ältere Frauen in losen Kitteln und Gesundheitsschuhen, die Frau eines amerikanischen Soldaten, die überflüssige Zeit hatte, eine zwölfjährige Griechin, deren Vater für ein Jahr als Gastdozent an der Universität war, und er selbst. Er wußte sofort, daß er unter ihnen der ernsthafteste Schüler war. Ihre Worte schienen direkt an ihn gerichtet zu sein.
    »Jeder kann ein paar Farbkleckse machen und es Kunst nennen«, sagte sie. »Aber darum geht es in diesem Kurs nicht. Sie sind hier, um etwas von sich selbst auf die Leinwand zu bringen, durch Ihre Komposition zu zeigen, wer Sie sind. Es geht darum, eine Vorstellung zu malen. Ich kann Ihnen Technik und Methode vermitteln, aber das, was Sie auf die Leinwand bringen, muß aus Ihrem eigenen Inneren kommen, wenn Sie es Kunst nennen wollen.« Sie lächelte. Es war ein eigenartiges strahlendes Lächeln, natürlich und völlig unaffektiert. Sie konnte nicht wissen, daß sie dabei ihre Nase auf unattraktive Weise krauste. Aber wenn sie es doch wußte, so war es ihr wahrscheinlich gleichgültig. Äußerlichkeiten schienen ihr nicht wichtig zu sein. »Und wenn Sie dieses Eigene in Ihrem Inneren nicht entdecken können, oder wenn Sie aus irgendeinem Grund Angst haben, es zu entdecken, dann wird es Ihnen dennoch gelingen, mit Ihren Farben etwas zu schaffen. Es wird hübsch anzusehen sein und Ihnen Freude machen. Aber es wird nicht unbedingt Kunst sein. Der Sinn - unser Sinn - ist, sich über ein Medium mitzuteilen. Aber um das zu tun, müssen Sie etwas zu sagen haben.«
    Am Ende hatte er sich seiner einfältigen Arroganz geschämt, die Aquarelle mitzubringen und sich mit ihnen zu brüsten. Er beschloß, sich unauffällig aus dem Atelier zu schleichen und die Bilder, wohlverpackt in ihrem braunen Umschlag, wieder mitzunehmen, ohne sie ihr gezeigt zu haben. Aber er war nicht flink genug. Als er mit den anderen hinausgehen wollte, sagte sie: »Ich sehe, Sie haben ein paar Arbeiten von sich dabei, Dr. Weaver. Möchten Sie sie mir nicht zeigen?« Sie trat an seinen Arbeitstisch und wartete, während er die Aquarelle auspackte, so nervös wie schon seit vielen Jahren nicht mehr und mit dem Gefühl, ein absoluter Stümper zu sein.
    Sie betrachtete sie nachdenklich. »Aprikosen und -« Er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. »Mohn.«
    »Ah«, sagte sie. »Ja. Sehr hübsch.«
    »Hübsch. Aber keine Kunst.«
    Sie sah ihn an. Ihr Blick war freundlich und offen. Er fand es verwirrend, von einer Frau so direkt angesehen zu werden. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Dr. Weaver. Das sind sehr hübsche Aquarelle. Und hübsche Aquarelle haben ihren Platz.«
    »Aber würden Sie sie bei sich an die Wand hängen?«
    Noch einmal betrachtete sie die Aquarelle. Sie setzte sich auf die Kante des Arbeitstisches und hielt die Bilder auf den Knien, erst das eine, dann das andere. Sie preßte ihre Lippen zusammen. Sie blies ihre Wangen auf.
    »Ich vertrage es schon«, sagte er mit einem kleinen Lachen, das, wie er selbst merkte, weit

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