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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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schleuderte die Briefe weg. »Das laß ich mir von dir nicht unterschieben. Du hast dich entschieden.«
    »Weil du mir keinen Moment Ruhe gelassen hast. Ich habe mich nicht einmal mehr als Frau gefühlt. Du hättest mich ja überhaupt nicht angerührt, wenn ich nicht einverstanden gewesen...«
    »Nein!« brüllte Harry. »Verdammt noch mal, Pen. Du hättest nein sagen können.«
    »Ich war nur die Muttersau, stimmt's?«
    »Der Vergleich hinkt. Säue suhlen sich im Dreck, nicht in Selbstmitleid.«
    »Hört auf!« fuhr Helen dazwischen.
    Im Wohnzimmer kreischte Christian. Das Weinen des Säuglings mischte sich mit seinem Geschrei. Irgend etwas flog laut krachend an die Wand.
    »Da! Hör dir an, was du mit ihnen machst«, sagte Harry Rodger. »Hör's dir genau an.« Er ging zur Tür.
    »Und was tust du?« rief Penelope schrill. »Vorbildlicher Vater, vorbildlicher Ehemann, vorbildlicher Dozent, vorbildlicher Heiliger. Du entziehst dich, wie immer! Und genießt deine Rache, ja? Sechs Monate hat sie mich nicht ran gelassen, aber dafür wird sie mir jetzt büßen. Jetzt, wo sie schwach und krank ist, kann ich ihr mal zeigen, was für ein Nichts sie ist.«
    Er wirbelte herum. »Ich bin fertig mit dir. Es wird Zeit, daß du dir endlich überlegst, was du willst, anstatt mir ständig Vorwürfe für das zu machen, was du hast.«
    Ehe sie etwas erwidern konnte, war er gegangen. Einen Augenblick später fiel krachend die Haustür zu. Christian brüllte. Der Säugling schrie. Penelope begann zu weinen.
    »Ich will dieses Leben nicht!«
    Helen schössen die Tränen in die Augen, aber sie wußte nicht, was sie sagen sollte, wie sie ihre Schwester hätte trösten können. Zum ersten Mal verstand sie das Schweigen ihrer Schwester, ihr Wachen am Fenster, ihr stummes Weinen. Aber sie verstand nicht den wahren Grund, der ihre Schwester an diesen Punkt gebracht hatte. Es war ein Akt der Selbstaufgabe, der Helen so fremd war, daß sie allein vor der Vorstellung zurückschreckte.
    Sie nahm ihre Schwester in den Arm.
    »Nein!« Penelope wollte sie abwehren. »Faß mich nicht an. Ich tropfe ja überall. Die Kleine -«
    Helen hielt sie einfach fest. Sie versuchte, eine Frage zu formulieren, und überlegte, wo sie anfangen sollte, wie sie fragen konnte, ohne ihren wachsenden Zorn zu verraten, der in so viele Richtungen ging, daß er um so schwerer zu verheimlichen war.
    Ihr Zorn galt vor allem Harry und seinem Egoismus, noch ein Kind in die Welt zu setzen, als handle es sich lediglich um eine Demonstration seiner Manneskraft und nicht um die Erschaffung eines Individuums mit ganz eigenen Bedürfnissen. Sie war aber auch auf ihre Schwester zornig, daß sie sich dem Pflichtbegriff gebeugt hatte, der Frauen seit Urzeiten eingetrichtert wurde und ihnen nicht gestattete, sich anders als über ihre funktionierende Gebärmutter zu definieren.
    Die Entscheidung, Kinder in die Welt zu setzen - die Penelope und ihr Mann ursprünglich gewiß mit Freude und Überzeugung getroffen hatten -, war ihrer Schwester zum Verhängnis geworden. Sie hatte ihren Beruf aufgegeben, um sich ganz der Sorge für die Zwillinge zu widmen, und war damit allmählich in Abhängigkeit geraten, zu einer Frau geworden, die meinte, ihren Mann um jeden Preis halten zu müssen. Als er daher noch ein Kind gewollt hatte, hatte sie sich seinem Wunsch gefügt. Sie hatte ihre Pflicht getan. Wie einen Mann besser halten, als wenn man ihm gab, was er wollte. Daß dies alles sich als fataler Irrtum herausstellte, machte die gegenwärtige Situation um so bitterer.
    Helen hielt ihre schluchzende Schwester im Arm und murmelte Tröstendes.
    »Ich halte es nicht mehr aus«, sagte Penelope. »Ich ersticke. Ich bin nichts. Ich bin nur eine Maschine.«
    Du bist Mutter, dachte Helen, während im Nebenzimmer Christian unaufhörlich weiterbrüllte.

    Es war Mittag, als Lynley den Bentley in der verwinkelten Hauptstraße des Dorfes Grantchester anhielt, einer kleinen Siedlung von Häusern, Pubs, einer Kirche und einem Pfarrhaus, die von Cambridge durch die Rugbyplätze der Universität und brachliegende Felder getrennt war. Die Adresse auf dem Polizeiformular war vage gewesen: Sarah Gordon, The School, Grantchester . Aber als sie das Dorf erreichten, sah Lynley, daß weitere Nachfragen nicht nötig waren. Zwischen einer Zeile strohgedeckter Häuser mit dem Pub Red Lion stand ein hellbraunes Backsteingebäude mit leuchtend roten Fensterrahmen und vielen Oberlichten im Dach. An einer der Säulen, die die

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