05 - Denn bitter ist der Tod
Tun wir's.
Wir sind Freunde, pflegte sie zu erwidern. Du bist mein Bruder, Doug.
Ach, zum Teufel damit. Das hat dich damals doch auch nicht gestört.
Und dann lächelte sie ihn liebevoll an - weil sie ihn jetzt gern hatte - und versuchte gar nicht erst zu erklären, was sie das damals gekostet hatte.
Sie reichte nicht - die Erinnerung an Douglas. Gegen ihren Willen ging sie durch das Atelier zu dem verhüllten Bild auf der Staffelei, hob das Tuch und betrachtete das Porträt, das sie vor so vielen Monaten begonnen hatte, als Pendant zu dem anderen. Es hatte ein Weihnachtsgeschenk für ihn werden sollen. Da hatte sie noch nicht gewußt, daß es kein Weihnachten geben würde.
Er saß leicht vorgebeugt, in einer für ihn typischen Haltung, einen Ellbogen auf das Knie gestützt, die Brille lose zwischen den Fingern. Sein Gesicht war von der Leidenschaft erleuchtet, die stets in ihm erwachte, wenn er über Kunst sprach. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, sah er jungenhaft und glücklich aus, ein Mann, der zum ersten Mal in seinem Leben aus der eigenen Fülle lebt.
Er trug keinen dunklen Anzug mit Weste, sondern ein Arbeitshemd voller Farbspritzer, mit halb aufgestelltem Kragen und einem Riß im Ärmel. Wie oft hatte er, wenn sie vor ihn getreten war, um das Spiel des Lichts auf seinem Haar zu studieren, die Arme ausgestreckt und sie trotz ihrer Proteste, die ja keine echten Proteste waren, lachend an sich gezogen. Sein Mund an ihrem Hals, seine Hand auf ihrem Herzen, das Gemälde vergessen, während sie ihre Kleider abwarfen. Wie hatte er sie angesehen, ihrem Körper Schönheit gegeben durch seine Blicke, sie gehalten mit seinen Blicken, während sie sich geliebt hatten. Und seine Stimme, sein Flüstern, seine Zärtlichkeit...
Sie wehrte sich gegen die Macht der Erinnerung und zwang sich, das Bild neutral zu betrachten, rein als Kunstwerk. Sie dachte daran, es zu vollenden; sie spielte mit dem Gedanken an eine Ausstellung, an die Möglichkeit, den Weg zu finden, um wieder malen zu können und diesem Bild etwas mitzugeben, das über braves Handwerk hinausging. Denn sie konnte es ja. Sie war Malerin.
Sie streckte die Arme zur Staffelei aus. Ihre Hände zitterten. Sie zog sie zurück, zu Fäusten geballt.
Auch wenn sie ihren Geist mit anderen Gedanken anfüllte, verriet ihr Körper sie auch jetzt noch, selbst jetzt, da alles zu Ende war, nicht bereit, zu vermeiden oder zu verleugnen.
Sie blickte zurück zum Anrufbeantworter, hörte seine Stimme und sein Flehen.
Ihre Hände zitterten immer noch. Ihre Beine fühlten sich an wie aus Glas. Und ihr Geist mußte akzeptieren, was ihr Körper ihr sagte. Es gibt Dinge, die sind weit schlimmer, als eine Leiche zu finden.
8
Lynley hatte gerade seine Pie in Angriff genommen, als Barbara Havers ins Pub kam. Draußen waren die Temperaturen gesunken, und der Wind hatte zugenommen. Barbara hatte sich auf das Wetter eingestellt, indem sie den einen ihrer Schals dreimal um ihren Kopf geschlungen und den anderen so weit hochgezogen hatte, daß er Mund und Nase bedeckte.
An der Tür blieb sie stehen und musterte die lärmende Menge der Mittagsgäste unter der Sammlung antiquarischer Sicheln, Hacken und Heugabeln, die die Wände des Gasthauses schmückten. Sie nickte Lynley zu, als sie ihn entdeckt hatte, und ging dann zum Tresen, wo sie sich ihrer Straßenkleidung entledigte, ein Mittagessen bestellte und sich eine Zigarette anzündete. Ein Glas mit Tonic in der einen Hand, einen Beutel Essigchips in der anderen, drängte sie sich zwischen den Tischen hindurch und setzte sich zu ihm in die Ecke. Die Zigarette hing ihr mit bedrohlich langer Asche schief zwischen den Lippen.
Sie warf Mantel und Schals neben seine Sachen auf die Bank und ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen. Sie schoß einen giftigen Blick auf den Lautsprecher ab, der, direkt über ihnen hängend, Killing Me Softly zum besten gab, unangenehm laut von Roberta Flack gesungen.
»Es ist immer noch besser als das Guns N' Roses«, bemerkte Lynley mit lauter Stimme, um Musik, Stimmengewirr und Geschirrgeklapper zu übertönen.
»Aber auch nur gerade«, gab Barbara zurück. Mit den Zähnen riß sie den Chipsbeutel auf und kaute eine Weile schweigend vor sich hin, während Lynley der Rauch ihrer abgelegten Zigarette ins Gesicht stieg.
Er wedelte demonstrativ mit der Hand. »Sergeant...«
»Ach Mensch, fangen Sie doch wieder an«, brummte sie unwillig. »Da kämen wir viel besser miteinander aus.«
»Und ich
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