05 - Denn bitter ist der Tod
glaubte, wir marschierten glücklich und zufrieden miteinander auf die Rente zu.«
»Marschieren ist richtig. Bei Glück und Zufriedenheit bin ich mir nicht so sicher.« Sie schob den Aschenbecher zur Seite. Nun stieg der Rauch einer blauhaarigen Frau in die Nase, die mit einem röchelnden Corgie und einem Herrn in kaum besserem Zustand am Nachbartisch saß. Über den Rand ihres Ginglases hinweg durchbohrte sie Barbara mit mörderischem Blick. Barbara kapitulierte murrend, tat einen letzten Zug aus der Zigarette und drückte sie aus.
»Also?« sagte Lynley.
Sie zupfte ein Tabakfädchen von ihrer Zunge. »Zwei von den Nachbarn haben bestätigt, was sie uns erzählt hat. Die Frau von nebenan« - sie holte ihren Block aus der Umhängetasche und klappte ihn auf- »eine Mrs. Stamford - Mrs. Hugo Stamford, das hat sie mir extra eingebleut und es auch vorsichtshalber gleich noch buchstabiert, für den Fall, daß ich Analphabetin sein sollte - sie hat gesehen, wie sie gestern morgen so gegen sieben den Kofferraum ihres Wagens vollgepackt hat. Sie hätte es sehr eilig gehabt, sagte Mrs. Stamford. Und sei außerdem mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen. Als Mrs. Stamford vor die Tür ging, um die Milch reinzuholen, hat sie ihr guten Morgen zugerufen, aber Sarah Gordon hat sie gar nicht gehört, Dann -« sie blätterte um - »ein Mann namens Norman Davies, der gegenüber wohnt. Er hat sie auch so gegen sieben in ihrem Wagen vorbeisausen sehen. Er erinnert sich so gut, weil er mit seinem Collie Gassi war, und der Hund sein Ei auf den Bürgersteig legte statt auf die Straße. Dem guten Norman war das furchtbar peinlich. Sarah sollte nur keinesfalls glauben, er erlaube Mr. Jeffries - so heißt der Hund -, einfach auf den Fußweg zu kacken. Er regte sich eine Weile darüber auf, daß sie mit dem Auto fuhr. Das täte ihr gar nicht gut, hat er mir erklärt. Sie müßte wieder mehr laufen. Sie sei immer viel gelaufen. Was ist los mit dem Mädchen? Was kurvt sie plötzlich mit ihrem Auto herum? Ihr Wagen hat ihm übrigens überhaupt nicht imponiert, Wer so einen Schlitten fährt, hat er gesagt, spielt nur den geldgierigen arabischen Ölscheichs in die Hände. Mann, der Kerl redet wirklich wie ein Buch. Ich konnte von Glück sagen, daß ich vor dem Mittagessen weggekommen bin.«
Lynley nickte, sagte aber nichts.
»Was ist denn?« fragte sie.
»Ich bin mir nicht sicher, Havers...«
Er brach ab, als ein junges Mädchen an den Tisch kam, um Barbaras Essen zu bringen, Fisch mit Erbsen und Pommes frites, über die Barbara großzügig Essig kippte, während sie die kleine Kellnerin musterte und sagte: »Gehörst du nicht in die Schule?«
»Ich seh nur so jung aus«, antwortete das Mädchen.
Barbara prustete verächtlich. »Na klar.« Sie machte sich über ihren Fisch her. Das Mädchen verschwand mit wippenden Unterröcken, und Barbara sagte auf Lynleys letzte Bemerkung bezogen: »Das gefällt mir aber gar nicht, Inspector. Ich hab den Eindruck, Sie wollen sich auf Sarah Gordon einschießen.« Wie in Erwartung einer Erwiderung sah sie von ihrem Essen auf. Als er nichts sagte, fügte sie hinzu: »Das hat wohl mit der Geschichte von der heiligen Cäcilie zu tun? Als Sie hörten, daß sie Malerin ist, stand für Sie fest, daß sie die Leiche unbewußt so hindrapiert hat.«
»Nein, das ist es nicht.«
»Was dann?«
»Ich bin sicher, daß ich sie gestern abend im St. Stephen's College gesehen habe. Und ich kann es mir nicht erklären.«
Barbara senkte ihre Gabel. Sie trank einen Schluck Tonic und rieb sich mit der Papierserviette den Mund. »Hey, das ist ja sehr interessant. Wo haben Sie sie denn gesehen?«
Lynley berichtete ihr von der Frau, die aus den Schatten des Friedhofs getreten war, während er aus dem Fenster gesehen hatte. »Ich konnte ihr Gesicht nicht klar sehen«, gab er zu. »Aber das Haar ist es. Und das Profil auch. Ich könnte es schwören.«
»Aber was soll sie denn dort getan haben? Sie sind doch nicht in der Nähe von Elena Weavers Zimmer, oder?«
»Nein. Im Ivy Court haben nur die Dozenten ihre Räume - Arbeitszimmer und Unterrichtsräume.«
»Eben. Was kann sie dann -«
»Ich vermute, daß Anthony Weavers Räume dort sind, Havers.«
»Und?«
»Wenn das zutrifft - und ich werde das nach dem Mittagessen überprüfen -, würde ich denken, daß sie zu ihm wollte.«
Barbara stapelte Pommes frites und Erbsen auf ihre Gabel und schob die Ladung in den Mund. Sie kaute einen Moment nachdenklich, ehe sie sagte:
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