05 - Denn bitter ist der Tod
sprechen von Mord. Sagen Sie doch, wie es ist. Reden Sie nicht um die Wahrheit herum. Sie ist nicht die Verstorbene. Sie ist das Opfer. Es ist Mord. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, aber wenn ich es oft genug höre, wird mir das Wort mit der Zeit bestimmt ganz automatisch über die Lippen kommen. Meine Tochter, das Opfer. Der Tod meiner Tochter, ein Mord.«
Beck sah Anthony an. Vielleicht hoffte er, der würde etwas entgegnen, würde seine geschiedene Frau vielleicht etwas trösten. Als Anthony stumm blieb, fuhr Beck eilig zu sprechen fort.
»Sie müssen mir sagen, wann und wo die Trauerfeier stattfinden soll, und wo Ihre Tochter bestattet werden soll. Wir haben hier eine schöne Kapelle, wenn Sie die für die Trauerfeier benutzen wollen. Und - ich weiß natürlich, wie schwierig das für Sie beide ist -, aber Sie müssen sich jetzt entscheiden, ob sie offen aufgebahrt werden soll.«
»Offen...« Anthony war entsetzt bei der Vorstellung, daß seine Tochter den Neugierigen zur Schau gestellt werden sollte. Niemals. Das kommt nicht...«
»Aber ich möchte es«, sagte Glyn.
»Das kannst du nicht wollen. Du weißt nicht, wie sie aussieht.«
»Sag du mir nicht, was ich will. Ich habe gesagt, daß ich sie sehen möchte. Und ich werde sie sehen. Alle werden sie sehen. So will ich es.«
»Wir können natürlich gewisse kosmetische Korrekturen vornehmen«, bemerkte Beck. »Mit Modelliermasse und Schminke -«
Glyn schnellte vorwärts, und Beck zuckte erschrocken zurück. »Sie haben mir nicht zugehört. Alle sollen sehen, was ihr angetan worden ist. Die ganze Welt soll es sehen.«
Und was versprichst du dir davon? hätte Anthony gern gefragt, aber er wußte die Antwort schon. Sie hatte Elena seiner Obhut anvertraut, und jetzt sollte die ganze Welt sehen, wie er versagt hatte. Fünfzehn Jahre lang hatte sie mit ihrer Tochter in einem der scheußlichsten Viertel Londons gelebt, und alles, was Elena aus diesen harten Jahren davongetragen hatte, war ein angeschlagener Zahn, Erinnerung an eine völlig harmlose Schlägerei auf dem Schulhof.
Fünfzehn Jahre London - ein angeschlagener Zahn. Fünfzehn Monate Cambridge - ein grauenvoller Tod.
Anthony wehrte sich nicht. Er sagte zu Beck: »Haben Sie vielleicht eine Broschüre? Damit wir uns überlegen können, was wir...«
»Aber natürlich«, versicherte Beck hastig und zog eine Schublade auf. Er schob ihnen über den Schreibtisch einen rostbraunen Plastikhefter zu, auf dem in goldenen Lettern Beck und Söhne, Bestattungsunternehmen stand.
Anthony schlug den Hefter auf. Farbfotografien unter Plastik. Er blätterte sie durch, ohne sie zu sehen, las den Text unter ihnen, ohne ihn aufzunehmen. Er erkannte Hölzer: Mahagoni und Eiche. Er erkannte Wörter: korrosionsbeständig, Gummidichtung, Kreppfutter, Asphaltisolierung. Undeutlich hörte er Beck die Vorteile von Kupfer und Stahl gegenüber Eiche preisen, von verstellbaren Matratzen faseln.
»Diese Uniseal Särge sind wirklich die besten. Der Sperrmechanismus und die Dichtung garantieren eine luftdichte Versiegelung. Sie haben also optimalen Schutz gegen das Eindringen...« Er zögerte zartfühlend. Die Unschlüssigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Von Würmern, Maden, Moder? Wie drückte man es am taktvollsten aus? »...der Elemente.«
Die Wörter unter den Fotografien verschwammen. Anthony hörte Glyn sagen: »Haben Sie Särge hier?«
»Nur wenige. Die Kunden wählen im allgemeinen aus den Broschüren. Sie sollten sich in einer solchen Situation keinesfalls gezwungen fühlen.«
»Ich möchte sie sehen.«
Beck sah Anthony an. Er schien Protest zu erwarten. Als keiner erfolgte, sagte er: »Aber bitte. Kommen Sie mit.« Und verließ ihnen voraus das Büro.
Anthony folgte seiner geschiedenen Frau und dem Bestattungsunternehmer. Er hätte gern darauf bestanden, die Entscheidung über den Sarg in der sicheren Geborgenheit von Becks Büro zu treffen, wo Fotografien ihnen beiden erlauben würden, sich die endgültige Realität noch ein kleines Weilchen länger vom Leibe zu halten. Aber er wußte, diese Bitte um Abstand würde nur als weiteres Zeugnis seiner Unzulänglichkeit ausgelegt werden. Und hatte nicht Elenas Tod bereits hinreichend seine Untauglichkeit als Vater demonstriert, hatte er nicht von neuem bestätigt, was Glyn seit Jahren behauptete: daß sein einziger Beitrag zum Leben ihrer gemeinsamen Tochter eine blinde Keimzelle gewesen war, die gut schwimmen konnte?
»Bitte sehr.« Beck stieß eine
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