05 - Denn bitter ist der Tod
und ihrem Vater?« fragte Lynley, obwohl er wußte, wie unwahrscheinlich es war, daß Adam Jenn auch nur ein Wort sagen würde, das seinem Mentor schaden konnte.
Adam sah auf seine Hände hinunter und fing an, mit dem Daumen der rechten die Nagelhaut der Finger an der linken Hand zurückzuschieben. »Er wollte an ihrem Leben Anteil haben. Aber immer wirkte es -« Er schob die Hände wieder in die Hosentaschen. »Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.«
Lynley erinnerte sich an Weavers Beschreibung seiner Tochter. Er erinnerte sich an Justine Weavers Reaktion auf die Beschreibung. »Unecht?«
»Es war so, als glaubte er, sie mit Liebe überschütten zu müssen. Als müßte er ihr dauernd beweisen, wieviel sie ihm bedeutet, damit sie es eines Tages vielleicht wirklich glauben würde.«
»Ich könnte mir vorstellen, daß er das Gefühl hatte, sich besonders um sie bemühen zu müssen, weil sie gehörlos war. Sie befand sich in einer neuen Umgebung. Er wollte sie stützen, ihr zum Erfolg verhelfen. Um ihretwillen und um seinetwillen.«
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie sind schon wieder bei seiner Berufung auf den Penford-Lehrstuhl. Aber es ging viel weiter. Es ging über ihre Leistung an der Uni hinaus. Und es ging über ihre Gehörlosigkeit hinaus. Meiner Ansicht nach glaubte er aus irgendeinem Grund, er müßte sich ihr beweisen. Und das hat ihn so in Anspruch genommen, daß er sie selbst gar nicht gesehen hat. Jedenfalls nicht so, wie sie wirklich war. Oder höchstens bruchstückhaft.«
Diese Schilderung paßte zu Weavers selbstquälerischem Erguß am vergangenen Abend. Das Bild war ziemlich typisch. Man lebt als Vater oder Mutter in einer trostlosen Ehe, die man am liebsten lösen möchte und fühlt sich hin und her gerissen zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen des Kindes. Bleibt man in der Ehe, um den Bedürfnissen des Kindes gerecht zu werden, so sichert man sich damit den Beifall der Gesellschaft, aber man selbst verkümmert. Bricht man andererseits aus der Ehe aus, um den eigenen Bedürfnissen entgegenzukommen, so erleidet das Kind Schaden. Erforderlich wäre ein meisterlicher Balanceakt zwischen diesen auseinanderklaffenden Bedürfnissen, der es den Partnern erlaubt, die Ehe zu lösen und sich ein neues, produktiveres Leben aufzubauen, ohne daß die Kinder bei diesem Prozeß irreparablen Schaden erleiden.
Für Anthony Weaver war die Situation noch schlimmer. Um seines eigenen inneren Friedens willen - der ihn, wie die Gesellschaft ihm sagte, sowieso nicht zustand -, hatte er seine Ehe gelöst und dann feststellen müssen, daß die Schuldgefühle, die mit der Scheidung einhergingen, dadurch um so bitterer waren, daß er ein kleines Kind im Stich gelassen hatte, das ihn liebte und von ihm abhängig war; ein behindertes Kind noch dazu. Welche Gesellschaft hätte ihm das je verziehen? Er hatte verlieren müssen. Hätte er sich entschieden, die Ehe aufrechtzuerhalten und sein Leben seiner Tochter zu weihen, so hätte er sich als edler Märtyrer fühlen können. Mit der Entscheidung für sich hatte er sich Schuldgefühle eingehandelt, da er - in seinen und der Gesellschaft Augen - einem niedrigen und egoistischen Bedürfnis nachgegeben hatte.
Sich Elena als guter Vater zu beweisen, ihr den Weg zu ebnen und um ihre Liebe zu werben - das war anscheinend die einzige Möglichkeit der Sühne gewesen, die er für sich gesehen hatte. Lynley verspürte Mitleid bei dem Gedanken an das verzweifelte Ringen dieses Mannes darum, als das akzeptiert zu werden, was er war: der Vater seiner Tochter.
»Ich glaube nicht, daß er sie wirklich gekannt hat«, sagte Adam Jenn.
Lynley fragte sich, ob Weaver sich selbst kannte. Er stand auf. »Wann sind Sie gestern abend, nachdem Dr. Weaver Sie angerufen hatte, hier weggegangen?«
»Kurz nach neun.«
»Sie haben abgesperrt?«
»Natürlich.«
»Am Sonntag abend auch?«
»Ja. Wir sperren das Arbeitszimmer immer ab.«
»Wie steht es mit den anderen Türen?«
»Die Küche und das Schlafzimmer haben keine Schlösser, aber die Haustür hat eines.«
»Haben Sie je das Schreibtelefon benutzt, um mit Elena zu telefonieren - entweder in ihrem Zimmer oder draußen bei Dr. Weaver?«
»Ab und zu, ja.«
»Wußten Sie, daß Elena jeden Morgen gelaufen ist?«
»Ja, mit Mrs. Weaver.« Adam schnitt ein Gesicht. »Dr. Weaver wollte sie keinesfalls allein laufen lassen. Sie legte keinen Wert auf Mrs. Weavers Gesellschaft, aber der Hund kam auch immer mit, das machte es
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