05 - Der Conquistador
und drückte den Auslöser.
Dann noch einmal und noch einmal.
Alejandro zog tief den Atem ein. Seine Rachenschleimhäute schwollen ab. Er beruhigte sich langsam, sein Husten verebbte.
»Ich bräuchte trotzdem Ihre Ausweise«, sagte der Polizist, nachdem die akute Gefahr vorbei schien.
Maria Luisa war sich bewusst, dass sie ihm die Papiere nicht geben konnte. Für einen Moment irrte ihr Blick zu dem abgestellten Ford Mondeo. Die Sonne spiegelte sich in der Frontscheibe; Tom war nicht zu sehen. »Ich habe keine Papiere dabei.«
Der Polizist musterte sie streng. »Wirklich nicht? Es handelt sich hier um eine Straftat. Ich muss der Sache nachgehen, auch wenn ich natürlich merke, dass mit Ihrem Bruder …« Er nahm sie beiseite. »Was ist mit ihm? Ist er behindert?«
Maria Luisa hatte diese Frage schon so oft gehört. Sie versuchte dem Beamten Alejandros Autismus mit knappen Sätzen zu erklären, was das Verständnis des Polizisten weckte. »Okay. Er wirkt auch nicht so, als sei er der Drahtzieher des Überfalls.«
»Ganz sicher nicht«, stimmte Maria Luisa zu. »Hören Sie, ich habe eben eine Horde Jugendlicher über die Straße rennen sehen. Zu denen gehört er nicht. Wir kennen hier niemanden, besuchen nur meine Großmutter. Sie müssen Jandro die Flasche gegeben haben, als sie an ihm vorbei kamen.«
Der Polizist überlegte kurz. »Nach meiner Einschätzung ist der Junge zu einem Überfall gar nicht fähig«, entschied er dann und erstickte einen Protest des Ladenbesitzers im Keim, indem er hinzufügte: »Wir können gern einen Arzt kommen lassen, der das bestätigt. Vielleicht möchte die Señorita dann ihrerseits die Gewaltanwendung gegen ihren behinderten Bruder zur Anzeige bringen …?«
Der Schnauzbart gab den Jungen frei, als hätte er sich an ihm die Finger verbrannt. Er moserte noch ein wenig herum, dann verschwand er in seinem Laden.
»Vielen, vielen Dank, Señor«, sagte Maria Luisa. »Dann kann ich jetzt mit meinem Bruder …?« Sie zeigte die Straße hinunter, die sie gekommen war.
Der Polizist zögerte. »Ich fürchte, ich brauche wenigstens Ihre Anschrift. Fürs Protokoll.«
***
»Na«, begrüßte Tom die Geschwister Suárez, als sie zum Wagen zurückkehrten. »Da hat dein Charme wohl nicht ganz so verfangen.«
»Rutsch rüber und übernimm das Steuer.« Maria Luisa half Alejandro, im Fond einzusteigen, und setzte sich neben ihn.
Tom begriff, dass der verstörte Junge ihre Nähe jetzt nötiger als alles andere hatte. Geschmeidig glitt er über die Zwischenkonsole des Ford und ließ sich in den Fahrersitz sinken. Ohne viel Aufhebens startete er den Motor, wendete den Wagen und fuhr los. Im Rückspiegel sah er, wie der Polizist, mit dem sich Maria Luisa auseinandergesetzt hatte, etwas in seinen Block kritzelte.
»Verdammt! Ich glaube, er hat sich die Nummer des Wagens notiert.«
»Bist du sicher?«
»Nein, das nicht. Aber wenn er eine Fahrzeugabfrage macht, hat er uns ganz schnell am Haken.«
Tom lenkte den Ford in die Straße, aus der sie zuvor abgebogen waren und in der Carlotas Häuschen stand. Immer wieder sah er in den Rückspiegel, doch ein Polizeifahrzeug tauchte nicht auf. Noch nicht zumindest. Dafür sah er Maria Luisas verbissenen Gesichtsausdruck, während sie sich um ihren Bruder kümmerte und unentwegt beruhigend auf ihn einredete.
Als Tom den Wagen in die Einfahrt des Hauses lenkte, war die Luft hinter ihnen immer noch rein, sodass er allmählich Hoffnung schöpfte, sich getäuscht zu haben.
4.
Vergangenheit , 1517
Ts’onot blickte auf die beiden Gegenstände, die sein Vater, der Herrscher, in seine Obhut gegeben hatte. Mit dem Auftrag, ihre Geheimnisse zu lüften, das aber mit aller gebotenen Vorsicht.
Der Prophet erzitterte leicht, als er sich die Ereignisse in Erinnerung rief, die er mit dem sonderbaren Armreif und dem unfassbar scharfen Messer verband. Immerhin war er es gewesen, der das Wesen zur Strecke gebracht hatte, dem der Armreif ursprünglich gehört hatte. Und ebenso hatte er dem Moment beigewohnt, als sein einstiger Lehrer Oxlaj von seiner Audienz bei den Göttern zurückgekommen war und die Klinge mitgebracht hatte, die imstande war, sogar härtesten Stein zu durchschneiden.
Oxlaj …
Ts’onot hatte den Verlust des Opferpriesters, der dem Größenwahn verfallen war, nie ganz verwunden. Und jedes Mal, wenn er sich mit den Hinterlassenschaften des Mannes beschäftigte, überkamen ihn die Bilder, wie der Priester, durchbohrt von Pfeilen, vor ihm zu
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