05 - Der Conquistador
und versicherte: »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich bin vorsichtig.«
Ihr Mienenspiel blieb unverändert. »Ich wusste nicht, dass der Reif in deinem Besitz ist.«
»Vater gab ihn mir. Er glaubt, ich sei der Richtige, um ihn zu erforschen.« Ts’onot war zum selbstbewussten Mann gereift – seine Mutter jedoch schaffte es ohne viele Worte, diese Selbstsicherheit zu erschüttern.
»Du hast gesehen, was aus Oxlaj wurde. Der Reif hat ihn verändert; niemand weiß genau, wie. Es ist sträflicher Leichtsinn zu glauben, du wärst dagegen gefeit.«
»Mutter, wir leben in schwierigen Zeiten. Alles ist im Fluss. Ich träume jede Nacht von Dingen, die passieren werden, aber ich weiß nicht, wie fern diese Zukunft ist. Nur eines scheint sicher: Unser Volk wird dabei untergehen!«
»Redest du von dieser ›Maschine‹, die uns der falsche Gott zu bauen befahl?«
Ts’onot schüttelte den Kopf.
»Wovon dann?«
»Von Visionen, in denen die Welt noch existiert, aber … wir nicht mehr. Von einer Zeit, in der diese Stadt verlassen ist, weil keiner unseres Volkes mehr darin wohnt.«
Came sah ihn betroffen an. »Was meinst du damit? Wohin sind wir gezogen?«
Ts’onot schüttelte wieder den Kopf. »Nirgendwohin. Ich spreche von einer Zeit in nicht allzu ferner Zukunft, in der kein einziger Angehöriger des Menschengeschlechts mehr am Leben ist.«
***
Nachdem seine Mutter gegangen war – eigentlich war es mehr eine Flucht gewesen nach der schockierenden Eröffnung –, wog Ts’onot den Armreif nachdenklich in seinen Händen. Der Prophet war fester entschlossen denn je, die Geheimnisse, die Oxlajs Vermächtnis umgaben, zu lüften. Vielleicht war es auf diese Weise möglich, diese Zukunft zu verhindern. Aber er wusste auch, welches Opfer dafür von ihm verlangt wurde.
Der Armreif schien seine Geheimnisse nur seinem jeweiligen Träger zu offenbaren. Und Träger bedeutete, dass man ihn nicht nur in Händen halten, sondern anlegen musste.
Ts’onot schauderte und erkannte, dass er dazu noch nicht bereit war. Er legte den Reif wieder neben die fremdartige Klinge, mit der Oxlaj den Göttern sein allerletztes Blutopfer dargebracht hatte.
Als er den Aufbewahrungsraum verließ, hörte er Lärm und Stimmen, die ihn an ein Fenster treten ließen, von dem aus er auf den Platz vor dem Herrscherpalast blicken konnte. Dort, zwischen dem Palast und der großen Tempelpyramide, scharten sich Bewohner der Stadt um Neuankömmlinge, unter denen sich auch ein merkwürdig anzusehender Fremdling befand, dessen Haut über und über von Tätowierungen bedeckt war.
Ts’onot musste sich gegen die Mauer stützen, als sein Lomob warnungslos erwachte und er in einer Vision sich selbst und diesen Mann in trauter Eintracht miteinander reden sah; wenngleich er auch nicht verstand, worüber sie sprachen.
Als er wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte, war ihm klar, dass er den Fremden aufsuchen musste – sofort. Ts’onot flog förmlich die Gänge entlang und die Treppenstufen hinunter – um fast gleichzeitig mit seinem Vater im Hof anzulangen. Natürlich ließ er dem Kaziken den Vortritt.
»Wer bist du?«, wandte sich Ah Ahaual an den Ankömmling, der durch sein außergewöhnliches Aussehen aus den anderen herausstach. »Von wo kommt ihr und was führt euch hierher?«
»Wir kommen aus einer kleinen Stadt, acht Tagesmärsche von hier entfernt«, antwortete der seltsame Mann, der nicht wie ein Maya aussah, aber wie ein Maya sprach. »Wir lebten in Frieden, glücklich und zufrieden – bis die Tutul Xiu kamen. Sie überfielen uns ohne Vorwarnung und wüteten wie Raubtiere. Wir hier …«, er wies auf den Tross der Flüchtlinge, »… sind die einzigen Überlebenden und bitten um Obdach. Mein Name, Herr, ist Diegodelanda …«
5.
Die Warnungen des Weißen Ritters vor der Heimtücke der Einheimischen klangen mir noch im Ohr, als ich in die Schaluppe kletterte, die mich und einige meiner verlässlichsten Männer an Land brachte. Ich solle mich von falscher Freundlichkeit nicht blenden lassen, gab er mir mit auf den Weg. Und ich war geneigt, dem Ratschlag zu folgen. Zumindest vertraue ich ihm mehr als den einfältig wirkenden Wilden, die uns schwatzend und gestikulierend in ihren Kanus vorausfuhren.
Am Strand erwarteten uns weitere Stadtbewohner, Männer, Frauen und Kinder. Auf Schritt und Tritt hängten sie sich an uns, und es bedurfte energischer Zurückweisung, damit sie schließlich ein Stück weit von uns wichen. Ein Häuptling
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