05 - Der Conquistador
gehässig. »Die Bedingungen diktieren wir. Her damit!« Eine Spur ungeduldiger als zuvor schnipste er mit den Fingern.
Als Tom zögerte, zuckte der Indio die Schultern. »Okay, du hattest deine Chance«, knurrte er, wandte sich nach hinten und rief: »Schlachtet sie!«
***
Der Befehl war in seiner verbalen Brutalität kaum noch zu überbieten.
»Halt!«, schrie Maria Luisa mit überschlagender Stimme. »Tut ihr nichts an! Er gibt euch, was ihr wollt! Aber verschont meine Großmutter!«
Wortlos drehte der Indio sich um und verschwand im Flur. Die Tür stand offen.
Tom erkannte eine Einladung, wenn er eine bekam. Aber hier handelte es sich um den Eintritt ins Jenseits. Er war nicht so naiv wie Maria Luisa, zu glauben, dass die Indios auch nur einen von ihnen am Leben lassen würden. Selbst wenn sie das Artefakt bekamen. Gnade gehörte nicht zum Repertoire dieser Leute.
Er überlegte, was für Alternativen er hatte. Keine, befand er fatalistisch. Die Typen saßen verdammt noch mal am längeren Hebel.
Maria Luisa trat hinter ihn und versetzte ihm einen halbherzigen Stoß, der ihn ins Innere des Hauses trieb.
Ich begehe gerade Selbstmord, dachte er.
Ein spitzer Schrei veranlasste ihn dennoch, seine Schritte zu beschleunigen. Carlota! Die alte Frau hatte vor Schmerz aufgeschrien.
»O nein! Tu doch was!« Maria Luisa – hinter ihm. Wieder versetzte sie ihm einen Stoß. Wie ferngesteuert eilte Tom auf die offene Küchentür zu.
Als er dort ankam, wurde ihm endgültig klar gemacht, dass er es mit Gegnern zu tun hatte, die alles zu tun bereit waren, um ihr Ziel zu erreichen.
»Her mit dem Stein!«, forderte Pauahtun. »Oder wir schneiden der Alten den Kopf ab! Siehst du das Messer in Kulkulcans Hand?« Er nickte zu dem fast einen Kopf kleineren Indio im feinen Zwirn, der sich hinter Carlota postiert hatte.
Die Blinde saß wie erstarrt am Küchentisch. Kulkulcan hatte Carlotas Haar um seine linke Hand gewickelt und hielt es so straff, dass es weh tun musste, während die Rechte ein merkwürdig geformtes Messer führte, dessen Klinge kaum zu sehen war – weil sie rasend schnell vibrierte. Er achtete darauf, ihre Kehle nicht damit zu berühren. Noch nicht.
»Das ist keine normale Klinge«, fuhr Pauahtun fort. »Sie durchdringt Stein, als wäre es Butter. Ein Hals ist da keine Herausforderung!«
Tom konnte das nur bestätigen. Er hatte das Messer bereits im Dschungel in Aktion gesehen, als es die Stahlrohre eines Wagenhebers durchtrennte.
Er ließ die Szene auf sich einwirken. Eine Gruppe von vier Männern hatte sich in der Küche eingenistet. Beim Überfall auf das Hotel waren sie zu acht gewesen und mit zwei Wagen vorgefahren. Obwohl es wenig änderte, ob die Gegnerzahl nun vier oder acht betrug, fragte sich Tom, ob sich im Haus noch weitere Bewaffnete befanden.
»Wenn ich euch das Artefakt gebe«, fragte er, »was geschieht dann mit uns?«
»Lass dich überraschen.«
»Gib es ihnen endlich! Mach sie nicht wütender, als sie schon sind!«, fuhr ihn Maria Luisa an. Sie war mit Alejandro hinter Tom in die Küche getreten.
Sie hätte die Gelegenheit nutzen und fliehen sollen, dachte Tom. Warum sie es nicht getan hatte, lag auf der Hand: Maria Luisa liebte ihre Großmutter und hätte sie niemals im Stich gelassen.
Tom entschied, dass es an der Zeit war, die Aussichtslosigkeit seines Widerstands einzusehen. »In Ordnung«, versuchte er die Bande zu beschwichtigen. Er klopfte gegen den Beutel an seinem Gürtel. »Der Kristall ist hier drin. Ich hole ihn jetzt heraus. Aber lasst vorher die Frau los!«
Ausdruckslos starrten ihm vier Augenpaare entgegen. Dann nickte Pauahtun knapp und der Messermann ließ Carlotas Haar los und trat zurück.
»Danke«, flüsterte Maria Luisa Tom zu. Sie schien tatsächlich zu glauben, dass die Kerle sie verschonen würden, sobald sie hatten, was sie wollten.
Carlota entspannte sich auf ihrem Stuhl, dann blickte sie in die Richtung, in der sie den Anführer vermutete. »Darf ich aufstehen? Mir ist nicht gut. Ich würde gern ein Glas Wasser trinken.«
Der Kahlkopf gab sich einen Ruck. »In Ordnung. Wir sind ja keine Unmenschen.« Das Grinsen, das er dabei zeigte, strafte seine Worte Lügen.
»Danke«, sagte Carlota. Während sie vom Tisch zum Waschbecken ging, fragte sie: »Wie geht es euch, Kinder?«
»Gut«, antwortete Maria Luisa – wider besseres Wissen.
»Und Jandro?«, fragte ihre Großmutter.
»Er ist hier bei mir, mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.«
Carlota
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