05 - Der Kardinal im Kreml
Das habe ich für mein Land getan, aber nicht für Ihresgleichen.» Filitow war geschwächt, aber seine Augen flammten trotzig. Watutin blieb ungerührt.
Fast hatte ich ihn soweit, aber es kam etwas dazwischen. Wenn ich erst weiß, was das ist, Filitow, habe ich dich! Irgendwie ahnte Watutin, daß er kurz vorm Ziel war.
Das Verhör ging weiter. Diesmal konnte Filitow noch standhalten, wahrscheinlich auch die nächsten Male, aber, seine körperliche und seelische Kraft ließen nach. Das wußten beide. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Beide Männer nahmen an, daß Watutin Herr über die Zeit war. Doch das war ein Irrtum.
*
Die neue Blitzmeldung aus Amerika, diesmal von Platonow, überraschte Gerasimow. Der Vorsitzende entschlüsselte den ersten Satz persönlich und stellte fest, daß er vor einem Maulwurf gewarnt wurde.
Ein ausländischer Agent im KGB? fragte sich Gerasimow. Wie weit oben ? Er rief seinen Sekretär und ließ sich die Akten von Agent Cassius und Ryan, I. P., CIA, bringen. Wie üblich lagen die Hefter bald auf seinem Tisch. Er ließ Cassius für den Augenblick beiseite und konzentrierte sich auf Ryan.
Die Akte enthielt einen sechsseitigen, erst vor sechs Monaten auf den neuesten Stand gebrachten Lebenslauf und Originalzeitungsausschnitte mit Übersetzung. Gerasimows Englisch war akzeptabel, wenn auch akzentbefrachtet. Ryan war fünfunddreißig, stellte er fest, und hatte sich im Geschäftsleben, der akademischen Welt und beim Geheimdienst ausgezeichnet. Bei der CIA war er rasch aufgestiegen. Verbindungsoffizier in London. Die erste Einschätzung war von der politischen Überzeugung eines KGB-Analytikers gefärbt: «wohlhabender, verweichlichter Dilettant». Nein, das konnte nicht stimmen. Dazu war er zu rasch hochgekommen, es sei denn, er verfügte über politischen Einfluß, der aus diesem Profil hier nicht ersichtlich war. Buchautor, stellte Gerasimow fest; zwei seiner Werke waren in Moskauer Bibliotheken verfügbar. Ein stolzer Mann, an Komfort und Privilegien gewöhnt. Gerasimow wandte seine Aufmerksamkeit wieder Platonows Depesche zu.
«Evaluation», schloß die Nachricht. «Subjekt wird nicht von ideologischen oder finanziellen Überlegungen motiviert, sondern von Zorn und einem verletzten Ego. Er fürchtet eine Gefängnisstrafe, die damit verbundene Schmach aber noch mehr. Es ist zu vermuten, daß I. P. Ryan über die Informationen, die er zu haben behauptet, verfügt. Sollte die CIA tatsächlich einen Maulwurf in der Moskauer Zentrale plaziert haben, bekam Ryan vermutlich Daten von ihm zu sehen, wenn auch nicht seinen Namen oder sein Bild. Anhand der Daten sollte die undichte Stelle zu identifizieren sein.
Empfehlung: Das Angebot sollte aus zwei Gründen angenommen werden. Erstens, um den amerikanischen Spion zu enttarnen. Zweitens zur Nutzung von Ryan in der Zukunft. Diese einmalige Gelegenheit hat zwei Aspekte. Schalten wir Belastungszeugen gegen Ryan aus, steht er in unserer Schuld. Wird diese Aktion entdeckt, kann sie der CIA angelastet werden; die unvermeidlichen Ermittlungen werden dem amerikanischen Geheimdienst schweren Schaden zufügen.»
«Hmmm», brummte Gerasimow und legte die Akte beiseite.
Der Hefter über Agent Cassius war viel umfangreicher. Dieser Mann war im Begriff, zu einer der besten Washingtoner Quellen des KGB zu werden.
Gerasimow, der diese Akte bereits kannte, blätterte sie rasch durch, bis er zu den letzten Informationen kam. Vor zwei Monaten hatten Ermittlungen gegen Ryan begonnen, Details unbekannt. Die Meldung von Cassius bezog sich auf unbestätigte Gerüchte. Ein Pluspunkt für Ryan, dachte der Vorsitzende. Damit stand fest, daß sein Angebot nichts mit den jüngsten Entwicklungen zu tun hatte...
Filitow?
Wenn nun der hochplazierte Agent, den Ryan identifizieren konnte, gerade jener war, den sie just festgenommen hatten?
Nein. Ryan saß in der CIA-Hierarchie hoch genug, um nicht ein Ministerium mit dem anderen zu verwechseln. Schlimm war nur, daß Gerasimow eine undichte Stelle im KGB derzeit überhaupt nicht gebrauchen konnte. Schlimm genug schon, daß sie existierte, aber wenn die Nachricht aus dem Gebäude drang... Das konnte eine Katastrophe bedeuten. Wenn wir eine echte Ermittlung in Gang setzen, wird der Skandal bekannt. Und wenn wir den Spion in unserer Mitte nicht finden ... und wenn er so hoch plaziert ist, wie Ryan behauptet... was, wenn die CIA herausfindet, was Alexandrow und ich...?
Was würde sie dann tun?
Und was, wenn das Ganze
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