05 - Der Schatz im Silbersee
behaupten, daß ich dir schaden wollte?“
„Ja.“
„Das ist eine Lüge!“
„Gib dir keine Mühe, mich zu täuschen! Ich weiß alles. Wir sollten hier getötet werden, obgleich wir mit den Utahs die Pfeife des Friedens geraucht haben. Die Yampas haben euch gestern Boten geschickt und sind dann selbst gekommen. Jede Unwahrheit, welche du sagst, ist umsonst gesprochen. Wir wissen, woran wir sind, und glauben euch kein Wort.“
Der Häuptling wendete das Gesicht ab und schwieg. An seiner Stelle ergriff der einfache Krieger, welchen der Hobble-Frank an dem Versteck niedergeschlagen hatte, das Wort: „Die Bleichgesichter sind jetzt Feinde der Utahs?“
„Wir sind Freunde aller roten Männer; aber wir wehren uns, wenn wir von ihnen feindlich behandelt werden.“
„Die Utahs haben die Kriegsbeile gegen die Bleichgesichter ausgegraben. Ihr seid berühmte Krieger und fürchtet sie nicht. Weiß du aber, daß die Navajos ausgezogen sind, den Bleichgesichtern zu helfen?“
„Ja.“
„Die Navajos sind Apachen, und der berühmteste Häuptling dieses Volkes, Winnetou, ist euer Freund und Gefährte; er befindet sich bei euch. Ich sehe ihn dort bei seinem Pferd stehen. Warum schlagt ihr einen Krieger der Navajos nieder und bindet ihm die Arme und die Beine?“
„Meinst du dich selbst?“
„Ja. Ich bin ein Navajo.“
„Warum hast du dich dann nicht mit den Farben deines Stammes bemalt?“
„Um mich zu rächen.“
„Und warum ließest du dich hier noch treffen, als die Deinen schon gewichen waren?“
„Eben wegen meiner Rache. Mein Bruder kämpfte an meiner Seite und wurde von einem Häuptling dieser Hunde erschlagen. Ich brachte seinen Körper in Sicherheit, damit die Utahs ihm nicht die Skalplocke nehmen könnten, und kehrte dann, obgleich meine Krieger schon gewichen waren, zurück, um seinen Tod zu rächen. Ich schlich an den Feinden vorüber, ohne von ihnen gesehen zu werden. Ein Häuptling hatte meinen Bruder erschlagen; ein Häuptling sollte mir dafür seinen Skalp geben. Ich wußte, daß ein solcher im Tal zurückgeblieben war, und wollte ihn suchen. Da sah ich zwei Männer in meinem Weg, einen toten und einen lebendigen. Dieser letztere sah auch mich; ich war verraten und wollte ihn erschießen; er war schneller als ich und schlug mich nieder. Als ich erwachte, lag ich in Finsternis und war gefangen. Rufe Winnetou! Er kennt mich nicht; aber wenn ich mit ihm sprechen darf, werde ich beweisen können, daß ich kein Utah, sondern ein Navajo bin. Als ich den Bruder den Gefährten übergeben hatte, entfernte ich die Kriegsfarben aus meinem Gesicht, um von den Utahs nicht sogleich als Feind erkannt zu werden.“
„Ich glaube dir; du bist ein Navajo und sollst frei sein.“
Da fuhr die ‚Gelbe Sonne‘ auf: „Er ist ein Utah, einer meiner Krieger, ein Feigling, der sich durch eine Lüge retten will!“
„Schweig!“ gebot Old Shatterhand. „Wäre es wirklich ein Gefährte von dir, so würdest du ihn nicht verraten. Daß du ihn verderben willst, beweist, daß er die Wahrheit gesprochen hat. Du bist ein Häuptling, aber deine Seele ist diejenige eines gemeinen Feiglings, den man verachten muß!“
„Beleidige mich nicht!“ brauste der andre auf. „Ich habe die Macht, euch alle zu verderben. Nimmst du uns die Bande ab, so soll euch verziehen werden. Tust du es aber nicht, so werdet ihr von tausend unbeschreiblichen Qualen erwartet!“
„Ich verlache deine Drohung; du befindest dich in unsrer Gewalt, und wir werden mir dir tun, was uns beliebt. Je ruhiger du dich in deiner Lage fügst, desto erträglicher wird sie sein. Wir sind Christen und erfreuen uns nicht daran, unsern Feinden Schmerzen zu bereiten.“
Indem er dies sagte, befreite er den Navajo, welcher ein noch junger Mann war, von seinen Fesseln. Dieser sprang auf, reckte und dehnte seine Glieder und bat: „Gib diese Hunde in meine Hand, damit ich mir ihre Skalpe nehmen kann! Je milder du mit ihnen bist, desto mehr werden sie dich betrügen.“
„Du hast keinen Teil an ihnen“, antwortete Old Shatterhand. „Du wirst vielleicht mit uns ziehen; aber wenn du es wagst, sie auch nur mit dem Finger zu berühren, würde ich dich mit meinen eigenen Händen töten. Nur wenn wir sie leben lassen, können sie uns Nutzen bringen; ihr Tod aber würde uns schaden.“
„Was könnte das für ein Nutzen sein?“ fragte der Rote verächtlich. „Diese Hunde sind zu nichts gut.“
„Darüber habe ich dir keine Erklärung zu geben. Willst du
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