05 - Der Schatz im Silbersee
sicher zu den Deinen gelangen, so hast du dich nach unserm Willen zu richten.“
Man sah es dem Gesicht des Navajos an, daß er nur ungern auf die Erfüllung seines Wunsches verzichtete; aber er mußte sich fügen. Um ihm einigermaßen zu Willen zu sein, übergab Old Shatterhand ihm die Bewachung der gefangenen Utahs und versprach ihm den Skalp desjenigen von ihnen, der es wagen würde, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Das beruhigte den Mann und war zugleich ein kluges Arrangement, da es jedenfalls keinen aufmerksameren und unermüdlicheren Aufseher geben konnte als ihn, der so lüstern nach den Kopfhäuten der Gefangenen war.
Nun galt es vor allen Dingen noch, die ermordeten Weißen zu besichtigen. Sie boten einen Anblick dar, dessen Beschreibung am besten unterlassen bleibt. Sie waren unter großen Qualen gestorben. Die Männer, welche bei den Leichen standen, hatten schon viel gesehen und erfahren; aber sie konnten sich eines Schauders nicht erwehren, als sie die zerstochenen Körper und verunstalteten Gliedmaßen der Toten erblickten. Die Tramps hatten geerntet, was und wie von ihnen gesät worden war. Am schlimmsten war es dem Cornel ergangen. Er hing verkehrt am Marterpfahl, mit dem Kopf nach unten. Er war, ganz wie seine Gefährten, von allen Kleidern entblößt; die Roten hatten die Anzüge unter sich verteilt, und es war nicht das kleinste Stück derselben zu sehen.
„Jammerschade!“ sagte Old Firehand. „Hätten wir doch eher kommen können, um die Ermordung dieser Leute zu verhindern!“
„Pshaw!“ antwortete der alte Blenter. „Habt Ihr etwa auch noch Mitleid mit diesen Kerls? Und wenn wir zur rechten Zeit gekommen und es euch gelungen wäre, ihnen das Leben zu retten, der Cornel hätte doch sterben müssen. Mein Messer hätte auf alle Fälle ein Wort mit ihm gesprochen.“
„So war es nicht gemeint, denn ihren Tod bedauere ich nicht, wenn ich auch wünsche, daß derselbe ein weniger grausamer hätte sein mögen. Aber das Papier, das Papier, die Zeichnung, welche der Cornel bei sich trug! Die wollte ich haben; die brauchten wir! Und nun ist sie fort; jedenfalls verloren.“
„Vielleicht finden wir sie. Jedenfalls geraten wir noch mit den Utahs zusammen, und dann wird es wohl auf irgendeine Art zu ermöglichen sein, in den Besitz des Anzuges zu gelangen, den wir dann untersuchen werden.“
„Schwerlich! Wir kennen ja die Kleidungsstücke nicht, welche er zuletzt getragen hat; sie sind wohl nicht beisammen geblieben, sondern unter mehrere Rote verteilt worden. Wie will man sie wieder zusammenbringen? Die Zeichnung ist verloren, und jener alte Häuptling Ikhatschi-tatli, von welchem Engel sie erhalten hat, ist tot; ein zweites Exemplar ist ja nicht mehr zu bekommen.“
„Ihr vergeßt“, fiel Watson, der frühere Schichtmeister in Sheridan, ein, „daß dieser Häuptling einen Sohn und auch einen Enkel hatte, welche zwar nicht anwesend waren, aber doch eigentlich bei ihm am Silbersee wohnten. Sie werden, wie sich ganz von selbst versteht, das Geheimnis kennen und sind gewiß, ob im Guten oder im Bösen, das ist gleich, dazu zu bringen, es uns mitzuteilen.“
„Ein Indianer läßt sich zu so etwas nicht zwingen, besonders wenn es sich um Gold und Silber handelt; er stirbt lieber, als daß er dem verhaßten Weißen zum Reichtum verhilft.“
„Es fragt sich, ob er uns zu den Verhaßten zählt. Die beiden ‚Bären‘ sind vielleicht den Weißen freundlich gesinnt.“
„Die beiden ‚Bären‘?“ fragte Old Firehand. „Hießen sie so?“
„Ja doch! Der ‚Große‘ und der ‚Kleine Bär‘.“
„Alle Wetter! Wie konnte mir das entgehen! Jawohl, es fällt mir ein, daß das ihre Namen waren. Wie ist es nur möglich, daß ich nicht sofort an die beiden Tonkawa gedacht habe, welche sich mit uns auf dem Dampfer befanden! Nintropan-hauey und Nintropan-homosch, der ‚Große Bär‘ und der ‚Kleine Bär‘, so hießen sie doch!“
„Die zwei Nintropan wohnen droben am Silbersee“, bestätigte jetzt Winnetou. „Ich kenne sie; sie sind meine Freunde und waren den Bleichgesicherten stets gewogen.“
„Wirklich? Das ist gut, sehr gut; denn da ist alle Hoffnung vorhanden, daß sie uns die gewünschte Auskunft geben werden. Leider gibt es jetzt Kampf dort oben, und die Utahs befinden sich zwischen uns und dem See. Wir werden wohl nicht hindurchkommen.“
„Wir brauchen nicht hindurch, nicht an den Utahs vorüber; denn ich kenne einen Weg, welchen noch kein Weißer und noch kein
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