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wäre ihr Verhalten Tina und Sinclair ebenfalls aufgefallen.
„Super", sagte sie ohne große Begeisterung.
„Meine Liebe, möchtest du uns etwas mitteilen?", fragte Sinclair und faltete erst die Zeitung und dann seine Hände.
„Die Miete ist fällig?", schlug sie vor und gab einen großzügigen Schuss Sahne in ihren Tee.
„Nein, der Scheck liegt schon auf deinem Schreibtisch."
„Was soll das werden?", witzelte sie. „Ein Verhör?"
Ich wusste nicht, worum es ging. Aber ich konnte eine Tüte mit dem Logo einer nahe gelegenen Apotheke aus ihrer Handtasche herauslugen sehen.
Plötzlich hatte ich keine Lust mehr auf dieses Gespräch.
„Genau genommen", antwortete Sinclair, „ja."
„Jess, in der letzten Zeit bist du ein bisschen, äh . . empfindlich gewesen." Ich hüstelte. „Ist was?"
„Nein."
„Vielleicht", sagte Sinclair sanft, „können wir es dir sagen." Sie setzte sich. Zog den Mantel aus. Sah ihn an. Jetzt erst fielen
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mir die dunklen Ringe unter ihren Augen auf. Sie hatte nicht gut geschlafen.
„Warum nicht?", antwortete sie. „Mich aufklären, meine ich."
„Wie du wünschst. Zuerst haben wir die Veränderung deines Körpergeruchs auf den Stress zurückgeführt. Aber nachdem wir uns beraten hatten, haben wir, Tina und ich, uns schnell daran erinnert, wann wir das letzte Mal diesen
. . Zustand .. bei einem lebenden Wesen wahrgenommen haben."
„Tatsächlich? Ihr habt euch schnell daran erinnert?", frotzelte Jessica und klang, als sei ihr gar nicht nach Frotzeln zumute. „Oder doch eher langsam?"
Er fuhr fort, ohne sie zu beachten. „Kurz nachdem wir an der Westküste angekommen waren, fanden wir vorübergehend Unterschlupf in einem Pflegeheim. Eine Frau, die in diesem Heim lebte, litt schon sehr lange unter . ."
„Können wir zur Sache kommen?", zischte ich und unterdrückte den Drang, mir alle Haare aus dem Kopf zu reißen. Diese Geschichte konnte nur ein schlimmes Ende haben.
Jessica rutschte auf ihrem Barhocker hin und her und sah mich an. Ich spürte, dass sie es unbedingt selbst sagen wollte. Aber sie brachte es nicht über sich.
Sinclair ließ seine Hand über die mamorne Tischplatte gleiten und legte sie auf ihre. „Du hast ein Multiples Myelom."
„Was?", fragte ich.
Jessica wandte ihren Blick nicht ab. „Knochenmarkkrebs."
„Was?"
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„Ich wusste, dass du so reagieren würdest", behauptete Jessica.
„Oh, mein Gott. Oh, mein Gott!" Ich lag auf den kühlen Küchenfliesen, einen nassen Waschlappen auf der Stirn. „Ich kann es nicht glauben!"
„Liebling." Sinclair kniete neben mir. „Du bist meine Seele und mein Leben, aber hier geht es noch nicht einmal andeutungsweise um dich."
„Wie kannst du so etwas sagen?", weinte ich. „Meine beste Freundin stirbt . ."
„Ich sterbe nicht", sagte Jessica scharf. Wie sie so hoch über mir auf ihrem Barhocker thronte, sah sie mehr denn je wie eine ägyptische Göttin aus. „Ich wusste es, ich wusste es. So bist du immer. Genau deswegen habe ich nichts gesagt."
„Wie konntest du so etwas vor mir geheim halten?", kreischte ich zu ihr hinauf.
„Ich habe es dir gesagt, als ich gestorben bin."
„Ich sterbe nicht", sagte sie noch einmal, dieses Mal ein wenig lauter. „Ich habe mich von sieben verschiedenen Spezialisten untersuchen lassen, und sie sind alle recht optimistisch."
„Sieben? Spezialisten?" Ich rollte mich auf den Fliesen hin und her und stöhnte. „Sie wussten es alle vor mir? Dann bin ich die Wievielte? Die Achte auf deiner Liste?" Eigentlich sogar die Zehnte, wie ich sofort bemerkte, wenn man Sinclair und Tina mitzählte. „Das ist ja schrecklich! Bin ich so eine schlechte Freundin? Da plaudere ich mit spanischen Mördern, während du von einem Krebsarzt zum nächsten rennst?"
„So würde ich es nicht gerade ausdrücken", meinte sie.
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„Wie lange bist du schon krank?"
„Die Diagnose habe ich vor einem Monat erhalten." Sie wandte sich an Sinclair. „Jetzt geht's los."
„Vor einem Monat? Vor vier Wochen? Vor dreißig Tagen?"
„Einunddreißig", kam Tina mir zu Hilfe.
Ich schenkte ihr keine Beachtung. „Und das war keiner Erwähnung wert?
Hattest du andere Sorgen? Warum zum Teufel hast du nichts gesagt?" Ich fühlte mich schwach, aber Gott sei Dank lag ich schon am Boden. Glück gehabt. „Wie konntest du mir das antun?"
„Tut mir leid", schnaubte Jessica. „Ich war wohl selbstsüchtig"
„Da hast du verdammt noch mal recht!" „Elizabeth."
Ich stürzte mich auf
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