05
keine Ratten. Nur kleine, harmlose Feldmäuse, die beschlossen hatten, im Herrenhaus zu überwintern.
Mäuse machten mir nichts aus, aber Ratten . .
Und was war das für ein Geruch? Ein Hauch von Fäulnis lag über dem Staub.
Hatte etwa jemand - bah, pfui - sein Mittagessen hier oben vergessen?
Cathie zeigte mit dem Finger. „Er ist gleich dort drüben."
„Oh, ist er das, ja?" Was für ein mieser Ort für eine Geburtstagsparty. Aber das musste ich zugeben, hier oben hätte ich niemals nach Geschenken gesucht. „Na, dann schnallt er sich besser mal gut an, denn jetzt komme ich."
Ich marschierte gut vier Meter und schob den Kleiderschrank, der riesig war, viel größer als ich, zur Seite. „Überra... Was zum ...?"
Zuerst war ich ehrlich verwirrt. Als ob mein Gehirn nicht verarbeiten konnte, was meine Augen sahen. Ich hatte anderes erwartet: Spruchbänder, Geschenke, meine Freunde und meine Familie zusammengekauert, bereit, hervorzuspringen und „Überraschung" zu rufen.
Aber jetzt bekam ich: eine kauernde Gestalt, in Lumpen gehüllt, von oben bis unten in Matschfarben, hängende Schultern, die Haare in der gleichen Farbe wie die Kleider. Und erst der Geruch! Wie hielten die anderen das nur aus?
Sicher konnten selbst lebendige Menschen diesen Geruch wahrnehmen.
Langsam wandte sich die Gestalt um und sah mich an. Wieder hatte ich meine Hand erhoben, dieses Mal, um ein Würgen und nicht ein Niesen zu unterdrücken.
Ich konnte Knochen sehen, die aus dem vermutlich ehemals weißen Hemdsärmel herausragten. Knochen? Das waren keine Knochen. Das war etwas anderes, etwas Graues, Merkwürdiges. Es war . .
„Schönes Zombiekostüm", brachte ich heraus. Komplett mit authentisch stinkenden Lumpen und - ein ganz besonderer Touch, großartig! -
Friedhofserde in der Perücke.
„Betsy, ich versuche es dir schon die ganze Zeit verständlich zu machen. Das ist kein Kostüm. Das ist ein echter Zombie." Cathie schwebte bewundernd um ihn herum. „Was man nicht alles zu sehen bekommt, wenn man tot ist! Früher dachte ich immer, die gibt es nur im Film."
„Naaaahhhhhh", sagte er. Er griff nach mir. Er hatte lange Fingernägel, so lang, dass sie sich bereits wie Krallen krümmten. Unter jedem einzelnen war Dreck.
Ich trat einen Schritt zurück. Was er sofort mit einem Schritt auf mich zu wettmachte. Ich wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu schauen - und tat es dann doch. Er trug die vermoderten Reste eines Anzugs. Zuerst dachte ich, er würde lächeln. Dann aber begriff ich, dass eine seiner Wangen weggefault war und ich freien Blick auf seine Zahnleiste hatte.
Eigentlich hatte ich gedacht, ich wäre starr vor Angst. Nein, Angst war ein zu schwaches Wort - Panik. Totale Panik. So albern es auch war, mein ganzes Leben lang hatte ich einen Horror vor toten Dingen gehabt. Vor allem vor Zombies. Vor der Art, wie sie auf einen zustaksten, (so, wie dieser hier jetzt auf mich zustakste) und vor dem Gestank nach Grab
(auch dieser hier stank nach Grab)
und vor der Art, wie sie stöhnten und nach einem griffen, und davor, dass nichts sie stoppen konnte, egal, was man auch versuchte, sie stolperten einfach weiter
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(so, wie auch der hier weiterstolperte).
Ich hatte gedacht, dass die Angst mich lähmen würde und dass ich niemals in der Lage wäre zu fliehen, aber irgendwie schaffte ich es, zurückzuweichen.
Innerlich, ja, da war ich gelähmt. Ich brachte keinen Ton über die Lippen, konnte nicht schreien, nicht mehr denken, geschweige denn nachdenken. Und ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wo die Tür war. Aber meine Beine funktionierten noch prima. Und das war auch gut so. Weil ich nämlich sterben würde, wenn das Ding mich berühren sollte. Wirklich und wahrhaftig sterben. Für immer!
Der Zombie streckte immer noch die Hand nach mir aus, und ich drückte mich mit dem Rücken gegen eines der staubigen Sofas. Dann streifte seine Hand meine Schulter, und plötzlich schmolz meine innere Erstarrung dahin wie ein Eiswürfel auf einem sommerheißen Bürgersteig, und ich schrie so laut, wie ich noch nie jemanden hatte schreien hören. Ich klang wie ein Feueralarm.
Dann fiel ich rücklings über die Couch und ging in einer Staubwolke zu Boden. Während der Zombie in aller Seelenruhe das Sofa umrundete und weiter auf mich zumarschierte, versuchte ich, gleichzeitig aufzustehen und zurückzuweichen. Das Ergebnis meines Rutschens über die Dielen war eine hübsche Betsy-breite Spur durch den Staub.
Wieder schrie ich.
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