050 - Das Kind der Hexe
Patientinnen sagen sollte, die außer ihr auf dieser Station lagen? Diese Patientinnen waren Nancy unheimlich. So unheimlich wie ›Schwester‹ Margarita und ›Dr.‹ Wright. So sicher sie nun war, dass diese fünf Patientinnen alles andere denn schwanger waren, so bestimmt wusste sie auch, dass der Zwerg kein Arzt und Margarita keine Krankenschwester war.
Was bezweckten diese Leute? Und wie war es ihnen überhaupt gelungen, von der Kreisstation Besitz zu ergreifen? Es war ungeheuerlich und unvorstellbar. Doch andererseits war es ganz simpel. Wie es ihnen gelungen war, sie – Nancy Breen – relativ leicht in ihre Gewalt zu bekommen, so hatten sie sich hier eingenistet. Aber Nancy war entschlossen, sich nicht widerstandslos in ihr Schicksal zu fügen. Sie hatte schon mit dem Gedanken gespielt, die Polizei zu verständigen. Aber was hätte sie den Beamten melden sollen? Sie hatte nur ganz nebulöse Vorstellungen über eine geheimnisvolle Verschwörung. Sie konnte nicht einmal triftige Verdachtsmomente nennen, geschweige denn Beweise erbringen. Sie könnte Professor Marlowe anrufen und ihm davon berichten, wie unverhohlen Dr. Wright seine Position ausnutzte.
Als Nancy sich zu diesem Schritt entschlossen hatte, fühlte sie sich plötzlich von allen beobachtet. Die fünf Patientinnen standen vor der Tür ihres Krankenzimmers und warfen ihr spöttische Blicke zu. Eine von ihnen presste plötzlich beide Hände fest gegen ihren Leib. Nancy gefror das Blut in den Adern, als sie das pfeifende Geräusch hörte und aus den Augenwinkeln sah, dass der gewölbte Leib der Frau unter dem Druck ihrer Hände zusammenschrumpfte. Nancy tat, als sehe und höre sie nichts, und ging weiter. Hinter ihr tuschelten und kicherten die fünf Patientinnen. Wenn sie noch einen Beweis benötigt hätte, dass sie nur scheinschwanger waren – jetzt hatte sie ihn.
Nancy hatte die Tür zu ihrem Zimmer schon fast erreicht, als sie plötzlich Geräusche aus dem Krankenzimmer vernahm, in dem der vermummte Mr. Gilmore lag. Sie hörte ein lüsternes Kichern – und glaubte Schwester Margaritas Stimme zu erkennen.
Dann hörte sie Dr. Wrights quakende Stimme ganz deutlich sagen: »Oh, Voisin, lass uns nicht in den Keller gehen … Ich will es gar nicht lernen. Ich bin kein Bauchaufschneider … Lass ihm seine Ruhe, Voisin.«
Doch Schwester Margarita sagte unerbittlich: »Es muss sein. Im Keller wirst du deine Prüfung ablegen …«
Die Stimmen verstummten abrupt, und Nancy war froh, als sie die Tür mit der Aufschrift Oberschwester erreicht hatte. Sie riss sie auf, stürzte in ihr Zimmer und schloss hinter sich ab. Sie setzte sich an den Schreibtisch und wartete einige Minuten, um sich zu sammeln. Dabei lauschte sie ängstlich auf die Stimmen der falschen Krankenschwester und des Zwerges. Aber es blieb still. Unheimlich still. Schnell griff sie zum Telefonhörer und wählte die Zentrale.
»Verbinden Sie mich mit Birmingham«, sagte sie verstohlen in die Sprechmuschel und nannte die Nummer von Professor Marlowes Mutter. Sie musste sie noch zwei Mal wiederholen, weil die Telefonistin ihr Flüstern nicht verstand. Während Nancy darauf wartete, dass die Verbindung zustande kam, ließ sie die Tür nicht aus den Augen. Einmal war ihr, als bewege sich die Klinke. Aber das mochte Einbildung sein.
»Hallo?«
Nancy zuckte zusammen, als die krächzende Frauenstimme aus dem Hörer ertönte. Sie kam ihr verräterisch laut vor.
»Wer ist da?«
»Hier ist die Webber-Klinik«, flüsterte Nancy.
»Wer?«
»Die Webber-Klinik.«
»Ah, die Webber-Klinik. Sie müssen schon lauter sprechen, Miss, wenn ich Sie verstehen soll. Ich bin eine alte Frau, müssen Sie wissen, und mit meinem Gehör ist es nicht mehr zum Besten bestellt. Die Webber-Klinik, so so … Rufen Sie wegen meines Sohnes an? Hallo?«
Nancy erstarrte. Ihre Hand wurde so kraftlos, dass ihr der Hörer beinahe entfiel. Ihr war, als lege sich eine Schlinge um ihren Hals, die langsam zugezogen wurde. Und sie hörte von fern ein spöttisches Lachen – und Margaritas Stimme sagen: »In den Keller müssen wir – in den Keller …«
»Hallo, Miss! Was ist denn los?«
Nancy fasste sich ein Herz und fragte: »Ist dort Mrs. Marlowe?«
»Ja, natürlich. Wer denn sonst? Ist etwas mit meinem Sohn?«
»Ist er nicht bei Ihnen in Birmingham, Mrs. Marlowe?«
»Er soll bei mir sein? Lächerlich. Wenn das ein Scherz …«
Der Hörer entfiel Nancys Hand und fiel auf die Gabel. Hatte sie eben mit Professor
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