050 - Das Kind der Hexe
antwortete der Zwerg und kicherte. »Wilbur ist sich schon längst zu fein für dieses Loch …«
»Ich weiß, dass das nicht sein Hauptquartier ist«, unterbrach Dorian ihn unwillig. »Ich bin jedoch hierher gekommen, weil ich für eine Weile untertauchen will. Man sucht mich wegen Mordes.«
»Haben Sie wieder mal einen Dämon gekillt?«, fragte der verwachsene Zwerg ängstlich. »Sind sie deshalb hinter Ihnen her?«
»Keine Sorge, von der Schwarzen Familie droht euch keine Gefahr. Ich werde von der Polizei gesucht.«
Der Gnom atmete auf. »Wenn es nur das ist …«
»Ich stecke dennoch in der Klemme. Wilbur muss mir helfen. Ich möchte mich mit ihm treffen.«
Inzwischen waren die anderen Freaks durch die Geräusche geweckt worden. Es waren ihrer vier, die sich von ihren Lagern erhoben. Einer hatte keine Beine und ging auf den Händen. Ein anderer hatte verkrüppelte Gelenke, so dass er sich nur mit wiegendem Körper und seitwärts bewegen konnte. Der Dritte trug eine Gesichtsmaske, wahrscheinlich deshalb, weil er selbst für seine Leidensgenossen einen zu schrecklichen Anblick bot, und der vierte Freak hatte eine gelbliche Haut, die rötlich gefleckt war. Zudem schien er nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Als er sich streckte, krachte es, und Dorian fürchtete, er würde sich die Knochen brechen. Die Freaks hatten keine Scheu vor ihm. Obwohl er keinen von ihnen persönlich kannte, wussten sie, dass er ihr Freund war. Sie waren durchwegs ehemalige Dämonen, die aus der Schwarzen Familie ausgestoßen und mit körperlichen Makeln bestraft worden waren, weil sie irgendwann einmal allzu menschliche Regungen gezeigt hatten. Entweder hatten sie Skrupel gehabt, eine abscheuliche Tat zu begehen, oder sie hatten Mitleid mit einem ihrer Opfer gehabt.
Diese Freaks waren nicht nur Ausgestoßene der Schwarzen Familie, sie waren auch von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Dorian aber wusste längst, dass ihr ungewöhnliches und oftmals abstoßendes Äußeres nichts zu bedeuten hatte. Er hatte in ihnen wahre Freunde gefunden, die ihm schon oft wertvolle Dienste geleistet hatten.
»Wenn es Ihnen lieber ist, dann lassen wir Sie hier allein, Mr. Hunter«, sagte der Knochenmensch mit der gefleckten Haut.
»Ihr stört mich überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich könnte etwas Gesellschaft brauchen – Schlaf aber noch dringender. Ich habe eine anstrengende Nacht hinter mir.«
»Was sollen wir Wilbur ausrichten, Mr. Hunter?«, erkundigte sich der verwachsene Zwerg.
»Ich möchte ihn gegen Abend sehen. Einzelheiten werde ich dann selbst mit ihm besprechen. Aber ihr könntet euch inzwischen ein wenig umhören. Irgendjemand hat meine Frau umgebracht und will es mir in die Schuhe schieben. Es könnte Marvin Cohen gewesen sein – aber selbst in diesem Fall ist nicht ausgeschlossen, dass schwarze Magie dahintersteckt. Was passiert ist, weiß ich nicht. Aber ihr werdet das leicht herausfinden können. Jedenfalls möchte ich erfahren, wer mir das eingebrockt haben könnte. Aber, was immer ihr auch herausfindet, lasst die Finger von der Webber-Klinik. Wenn man dort Verdacht schöpft, könnte das fatale Folgen haben. So, und jetzt möchte ich nur noch schlafen.«
Die Freaks zogen sich unaufgefordert zurück, als sich Dorian aus einigen unbenutzten Matratzen ein Lager herrichtete. Er wusste, dass er beruhigt einschlafen konnte, denn sie würden Wache halten und ihn vor allen Gefahren rechtzeitig warnen. Dabei glaubte Dorian gar nicht, dass seine Sicherheit bedroht war. Die Polizei würde ihn hier ohnehin nicht finden. Und die Dämonen hatten mit diesem Manöver wahrscheinlich nur bezweckt, ihn von Coco zu trennen.
Sie wollten, dass jeder in einem anderen magischen Kreis gefangen wurde, und konnten es sich erlauben, darauf zu warten, bis sich ihr Schicksal von selbst erfüllte.
Nancy Breen hatte schreckliche Angst vor der Wahrheit. Und doch wollte sie sie herausfinden. Sie wollte den Dingen auf den Grund gehen, die auf der Geburtsstation passierten, seit Dr. Wright – dieser schreckliche Zwerg – die Vertretung von Professor Marlowe übernommen hatte.
Und sie wollte herausfinden, was mit ihr selbst passiert war. Sie wusste, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Was war in jenem Morgengrauen mit ihr geschehen, als der Zwerg sie ins Büro gerufen und sie zum ersten Mal ›Schwester‹ Margarita gesehen hatte? Warum hatte sie mitgespielt, als der Zwerg von ihr verlangte, dass man Miss Zamis nichts von den anderen
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