0501 - Die Mord-Clique
Chance. Zunächst sind wir an der Reihe.«
Mit dem »wir« meinte er die Menschen, die sich hinter ihm auf der Treppe verteilt hatten und so wirkten wie eine Schauspielertruppe bei einem Bühnenauftritt.
Auf der zweiten Stufe hielt sich Ellie auf. Auch sie hatte sich bewaffnet. In der rechten Hand hielt sie eine lange Schere. Auf Ellies Gesicht lag noch immer das freundliche Lächeln, es wirkte wie eingemeißelt. Das mußte ein Geburtsfehler sein, doch auf Sarah wirkte es in diesem Augenblick wie eine Eisdusche.
Die anderen verteilten sich auf den übrigen Treppenstufen. Sie standen versetzt zueinander.
Da war einmal ein älterer Mann, der einen schweren Kerzenleuchter festhielt. In seiner Nähe stand eine böse blickende Frau mit einem verkniffen wirkenden Gesicht. Sie hatte sich mit einem langen Schraubenzieher bewaffnet. Aus den Augen dieser Frau strahlte Lady Sarah Haß entgegen.
Die beiden mußten die Wouks sein. Ellie und James hatten Lady Sarah die Namen der Mitbewohner aufgezählt.
Den Schluß dieses Reigens bildete Diana Richberger. Eine an sich gemütlich wirkende Frau mit wohlfrisierten, grauen Haaren. Wäre nur nicht das überlange Messer gewesen, das schon eher einer Machete glich und besser in den Dschungel gepaßt hätte.
Sie sprachen nicht. Sie ließen Lady Sarah schauen, beobachten und nachdenken.
Das tat sie auch. Und sie sah ein, daß sie keine Chance gegen diese Übermacht haltte. Sechs alte Leuten hatten sich zu einem verbrecherischen Bund zusammengeschlossen und jede Person sah aus, als würde sie vor einem Mord nicht zurückschrecken, wenn es darum ging, ein gestecktes Ziel zu erreichen.
Ellie bewegte sich als erste. »Du bist intelligent genug, Sarah, um einzusehen, daß du keine Chance hast.« Sie trat neben ihren Mann und blieb dort stehen.
»Ja.« Lady Sarah nickte. Hinter sich vernahm sie das hechelnde Atmen des Blinden. Sie sah es nicht, aber sie konnte sich vorstellen, daß sein Messer wieder auf sie zeigte.
Ellie sprach weiter. »Du glaubst gar nicht, wie wir uns hier alle gefreut haben, daß du unsere Einladung angenommen hast. Das war unsere große Chance.«
»Inwiefern?«
»Das werden wir dir später erklären«, sagte James. »Zuvor möchten wir dir noch etwas zeigen.«
Das letzte Wort wirkte wie ein Startsignal. Die Anwesenden setzten sich in Bewegung und verließen die Treppe. Sie verteilten sich in der Halle und blieben so stehen, daß sie einen großen Halbkreis um Lady Sarah bildeten.
Einer verließ die Reihe. James Godfrey trat der Horror-Oma entgegen, ohne daß die beiden Mündungen der Schrotflinte auch nur einmal an ihr vorbeigezielt hätten.
»Wir werden einen kleinen Spaziergang innerhalb des Hauses unternehmen. Für gewisse Dinge eignen sich alte Keller vorzüglich. Auch wir lieben sie.«
»Wollt ihr mich dort gefangenhalten?«
»Zunächst ja.«
»Und dann?«
»Kommt es auf dich an, ob wir dich töten oder noch am Leben lassen, liebe Sarah.«
Mrs. Goldwyn schüttelte den Kopf. »James«, sagte sie leise, »ich verstehe dich nicht mehr. Was ist nur in dich gefahren? Ich weiß nicht, ob ich dich bemitleiden soll.«
»In mich gefahren?« Godfrey hob seine Augenbrauen. »Irgendwie hast du recht. Vielleicht ist es der Teufel!« Er grinste, und seine Augen nahmen einen harten Glanz.
»Es muß der Teufel sein!«
»So ist es. Wir haben uns ihm verschworen, liebe Sarah, und wir haben festgestellt, daß wir noch zu etwas nütze sind und nicht zum alten Eisen gehören. Die Hölle hat uns anerkannt, die Menschen nicht. Deshalb wohnen wir hier und dienen ihm. Wir haben Großes vor, und du wirst uns dabei helfen.«
Lady Sarah stimmte nicht zu und sprach auch nicht dagegen. Sie wollte erst einmal abwarten.
»Du wirst vorgehen. Nimm die zweite Tür dort hinten. Sie führt in den Keller.«
»Gut.« Sarah holte tief Luft. Ihren Stock hatte sie nicht losgelassen. Die rechte Hand hatte sie so hart um den Griff geklammert, daß die Knöchel scharf vorsprangen. Sie war bleich geworden.
Manchmal zuckte die dünne Haut auf ihren Wangen.
Natürlich überlegte sie, wie sie aus dieser verfahrenen Lage wieder herauskam. Eine Chance sah sie nicht. Aus eigener Kraft war es unmöglich. Sie richtete ihre Hoffnungen ganzn auf Jane Collins, die beunruhigt sein würde, wenn Sarah nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder bei ihr eintraf. Glücklicherweise wußte die Detektivin, wohin die Horror-Oma gegangen war.
Aber Jane allein würde auch nicht viel ausrichten können.
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