0503 - Adelige Blutsauger
Besonderes?«
»Nein, man kann auch zur Kapelle gelangen, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Dann sehen wir mal nach.«
»In der Kapelle haben sich meine Großeltern oft aufgehalten. Sie gehörte zu ihren Lieblingsplätzen. Sie mochten die Ruhe und die Einsamkeit. Beide sind sehr gläubig.«
Mir gefiel die Stille auch nicht. Sie war einfach anders als sonst. Irgendwie unnormal. Drückend, möglicherweise auch quälend. Obwohl ich niemand sah, fühlte ich mich beobachtet. Meine Gedanken glitten wieder zurück zu den Vampiren und machten dann einen Sprung. »Sagen Sie mal, Kate, gibt es hier auch so etwas wie eine Familiengruft?«
Sie blieb stehen und legte ihre Handfläche gegen das Mauerwerk.
»Wie kommen Sie gerade darauf?«
»Es war nur eine Frage.«
»Ich weiß nicht so recht, glaube aber, daß man unter der Kapelle so etwas finden kann.«
»Mit einem Zugang, nehme ich an.«
»Den müßte es auch geben.« Kate hielt mich am Arm fest. »Wollen Sie etwa dorthin?«
»Wenn es sein muß.«
»John, Sie machen mir Angst. Man geht nicht in fremde Gräber oder Grüften.«
»Im Normalfall nicht, aber ich denke da an gewisse Ausnahmen.«
»Können Sie mir das nicht näher erklären?«
Ich lächelte. »Wollen wir uns nicht zuerst in der Kapelle umsehen, Kate?«
Ihr Gesicht verschloß sich. »Wie Sie meinen.«
Wir nahmen den gleichen Weg, den auch der weiße Hund gegangen war. Es war eng zwischen den Mauern. Wir mußten hintereinander gehen. Auch hier hatte das Unkraut seinen Platz gefunden.
Es wuchs so hoch, daß es fast unsere Knie erreichte.
Nach dem Durchgang erreichten wir einen kleinen Platz. Er lag im Schatten der hohen Mauer. Rechterhand befand sich ein kleines Gebäude, ebenfalls aus den grauen Steinen errichtet. Der schmale Glockenturm wirkte wie ein viereckiger Schornstein.
Die Kapelle konnte man als schlichtes Bauwerk bezeichnen. Sie besaß nur kleine Fenster. Die Holztür war verwittert, ebenso wie das dort eingeschnitzte Motiv. Es zeigte eine Szene aus dem Kreuzweg.
Auf der Klinke lag eine dicke Rostschicht. An einigen Stellen aber war sie abgekratzt oder abgeschabt. Für mich ein Zeichen, daß jemand die Klinke benutzt hatte.
»Früher habe ich mich nie davor gefürchtet, die Kapelle zu betreten«, sagte Kate. »Heute sieht es anders aus, ganz anders.«
»Wieso?«
»Kann ich Ihnen nicht sagen, John. Ich bin nur froh, daß Sie mich mitgenommen haben.«
Ich öffnete die Tür. Es war nicht einfach, weil sie klemmte. Ich mußte schon einige Male ziehen, um sie so weit aufzubekommen, daß wir über die Schwelle treten konnten.
Mauern wie diese halten Wärme und Kälte gleichermaßen ab. In der Kapelle herrschte eine angenehme Temperatur. Durch den Raum flutete Dämmerlicht. Die schmalen Betbänke warfen Schatten.
Sie standen in nur einer Reihe vor dem kleinen Altar.
Es dauerte eine Weile, bis sich unsere Augen an das Licht gewöhnt hatten. Als wir dann besser sahen, machten wir auch die erste, ungewöhnliche Entdeckung.
An den Innenwänden hatten mal Bilder gehangen. Möglicherweise vom Kreuzweg, wie in fast jeder Kirche.
Die Bilder lagen jetzt am Boden und waren zerstört worden.
Zerhackt und zerschlagen. An ihnen hatte jemand seinen Haß und seine Wut ausgelassen.
Kate stand regungslos neben mir. »Wer tut denn so etwas?« hauchte sie. »Das ist eine Beleidigung des…«
»Bestimmt nicht Ihre Großeltern.«
»Dann müßten andere Personen auf dieser Burg gewesen sein.«
»Das kann durchaus sein.«
»Und wer, bitte schön?«
»Wir werden sehen.« Ich schritt an den zerstörten Bildern vorbei auf den Altar zu.
Meine Schritte waren die einzigen Geräusche innerhalb der Stille.
Die von Kate waren kaum zu hören.
Auch der Altar hatte sich dem Baustil der Kirche angepaßt. Er war sehr schlicht, aber gerade deshalb gefiel er mir so außergewöhnlich gut. In jeder Kirche, sei sie auch noch so klein, findet man Kreuze.
Nur hier nicht.
Kein einziges dieser christlichen Symbole entdeckte ich an den Wänden. So etwas war mir nicht neu. Vor einiger Zeit war mir in Brüssel so etwas aufgefallen, als wir ein altes Kloster besuchten.
Diese Kapelle wurde entweiht.
»Ich habe mich nicht geirrt, John. Hier hat das Böse Einzug gehalten. Glauben Sie mir. Diese Kapelle ist anders als früher, ganz anders. Himmel, in was geraten wir da hinein?«
»Wo befindet sich der Zugang zur Gruft?«
»Ich weiß es nicht mehr.«
»Überlegen Sie, Kate.«
»Es ist alles so lange her«, flüsterte sie.
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