0503 - Adelige Blutsauger
Sie schüttelte den Kopf wie ein trotziges Kind. »Ich fahre nicht eher wieder von hier weg, bis ich herausgefunden habe, wo sich meine Großeltern befinden. Ich bin den langen Weg nicht umsonst hochgekommen. Irgendwo müssen sie sein. Die Burg ist groß, ich werde sie durchsuchen. Wollen Sie auch?«
»Natürlich.«
»Sie sagen das so selbstverständlich, aber haben Sie auch die entsprechende Zeit?«
»Die nehme ich mir schon.«
»Ja, dann…«
»Sie haben noch einiges in Erinnerung?«
»Nein, eigentlich nicht. Es ist so lange her. Ich weiß, daß es auch Nebengebäude gibt. Stallungen, Wohnhäuser für das Gesinde, auch eine kleine Kapelle.«
»Wo befindet sie sich?«
»Direkt an der Westmauer, wenn ich mich nicht irre. Sie ist mir noch in guter Erinnerung geblieben. Ich habe mich dort stets wohlgefühlt. Der kleine Turm fällt kaum auf bei all den hohen Bauten in der Umgebung. Wir können dort anfangen.«
»Waren Ihre Großeltern sehr gläubig?«
»Sie haben jeden Tag gebetet.«
»Gut. Fangen wir dort an.«
Kate drehte sich um und schrie wieder auf. Diesmal sagte sie nur ein Wort: »Da!«
Ich schaute in die Richtung, in die ihr ausgestreckter Zeigefinger wies. Jetzt entdeckte ich den Hund ebenfalls. Er hatte sich vor dem Gemäuer gestreckt und beide Vorderpfoten auf die äußere schmale Kante der Fensterbank gestemmt. Sein heller Kopf lugte durch die Scheibe, er schaute in den Raum hinein und beobachtete uns.
Erst jetzt sah ich, daß er hellrote Augen besaß. Das mußte ein Albinohund sein.
Sein Fell war gesträubt, der Blick kam mir böse vor. Wir standen unter seiner Beobachtung.
Kate hatte sich wieder gefangen.
»Den habe ich noch nie hier gesehen«, flüsterte sie. »Er muß meinen Großeltern zugelaufen sein. Was wollen Sie tun?«
»Ich sehe ihn mir an.«
»Und wenn er Sie anfällt?«
»Beiße ich zurück«, erklärte ich grinsend. Sehr wohl war mir trotzdem nicht. Auch wenn ich den Hund nicht aus unmittelbarer Nähe sah, so konnte ich doch seine immense Größe erkennen. Das war kein kleiner Bello mehr.
Er regte sich nicht, als ich mich in Bewegung setzte und auf die Tür zuschritt. Erst als ich mich von seiner Sicht aus im toten Winkel befand, meldete mir Kate seine Reaktion.
»Er ist jetzt weg!«
Ich öffnete die Tür und sah den Hund weglaufen. Er war nicht einmal sehr schnell, nahezu gemütlich trabte er über das Pflaster des Innenhofs.
Was das Erscheinen des Hundes bedeuten sollte, wußte ich auch nicht. Möglicherweise war er als Lockvogel erschienen, wollte uns vielleicht eine Botschaft übermitteln.
Er wandte sich nach rechts, wo auch die Stallungen, die Gesindehäuser und die Kapelle lagen. Dort verschwand er in einer Spalte im grauen, von Kriechpflanzen überdeckten Mauerwerk.
Eines war sicher. Kelso hatte sich geirrt. Dieser Hund war normal und kein Vampirhund. Ich hatte sein Gebiß sehen können, als er durch das Fenster schaute.
Kate kam zu mir. »Nun?« fragte sie leise. »Sind Sie jetzt schlauer geworden?«
»Nicht, was Ihre Großeltern betrifft. In mir festigt sich immer mehr der Eindruck, daß sie überhaupt nicht mehr hier wohnen. Sie müssen die Burg verlassen haben.«
»Ohne mir etwas davon mitzuteilen?« Kate räusperte sich. »Das kann ich einfach nicht glauben.«
»Manchmal gibt es triftige Gründe, die dazu führen, daß man mit seinen Entschlüssen nicht länger warten kann.«
»Bei meinen Großeltern lief alles in geregelten Bahnen ab.« Sie sprach den Satz fast gequält aus.
»Sind Sie da sicher? Was kannten Sie von den beiden? Nichts oder wenig. Sie haben sie kaum gesehen.«
Kate erwiderte nur wenig darauf und gab mir auch recht. Dann fügte sie noch einen Satz hinzu. »Das Schloß ist mir unheimlich geworden, ich habe etwas Böses verspürt.«
»Und was?«
»Keine Ahnung. Ein Hauch vielleicht. Es kann ein Gruß aus dem Totenreich gewesen sein, den man mir geschickt hat. Vielleicht sogar von meinen Großeltern.«
»Dann rechnen Sie damit, daß Ihre Großeltern nicht mehr am Leben sind?«
Ihr Blick wurde starr. »Ich schließe die Möglichkeit zumindest nicht aus. Man kann sie ermordet haben. Die Burg liegt an exponierter, leider auch einsamer Stelle…«
»Wir wollen nicht gerade das Schlimmste annehmen. Möglicherweise war das Erscheinen des Hundes auch ein Hinweis, dem wir folgen sollten, Kate.«
»Wo ist der Hund denn jetzt?«
»Er hat eine Lücke im Gemäuer gefunden.« Ich erklärte ihr, wo er verschwunden war. »Gibt es dort etwas
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