0503 - Adelige Blutsauger
hatte die Hände um ihren Hals gepreßt, als wollte sie sich selbst erwürgen. Sie brauchte mir keine Erklärung zu geben, ich wußte gleich, daß es ihr Großvater war, der dort im Sarkophag lag.
Man hatte ihn getötet. Allen Anzeichen nach mußte er mit dem weißen Hund gekämpft und diesen Kampf verloren haben. Ein Vampir jedenfalls war er nicht.
Auf eine nähere Beschreibung der Leiche möchte ich verzichten.
Statt dessen kümmerte ich mich um Kate, die der Schock tief getroffen hatte. Sie hockte am Boden, mit dem Rücken an der Wand, und weinte leise vor sich hin.
Ich kannte Situationen wie diese hier und wußte auch, daß Kate Zeit brauchen würde, um dieses Erlebnis zu verkraften. Deshalb ließ ich sie in Ruhe und kümmerte mich um den zweiten Sarkophag.
Unter großer Kraftanstrengung gelang es mir, auch diesen Deckel so weit zur Seite zu schieben, daß ich hineinschauen konnte.
Auch hier lag ein toter Mensch.
Es war eine Frau. In ihren weißen Haaren klebten Blutspritzer. Sie war auf die gleiche Art und Weise umgekommen wie ihr Mann. Sir Walter Manderston und Lady Freya konnte niemand mehr helfen.
Man hatte sie umgebracht und die Leichen in die beiden Sarkophage gelegt.
Aber wer hatte zuvor in den letzten Ruhestätten gelegen? Oder waren sie vielleicht frei gewesen.
Darauf hätte mir Kate eine Antwort geben können. Sie war dazu noch nicht in der Lage.
Ich untersuchte die übrigen Sarkophage. Sie alle sahen unberührt aus. Niemand hatte sich an ihnen zu schaffen gemacht.
Unter meinen Sohlen knirschten Dreck und Staub, als ich auf Kate Manderston zuging. Sie hörte mich kommen, ihre Hände sanken nach unten, dann schaute sie mich an.
»Das ist doch ein Traum, John, nicht wahr? Sagen Sie mir, daß es ein Traum ist!«
»Tut mir leid, Kate, aber es ist die Wirklichkeit.«
»Die Wirklichkeit«, wiederholte sie. »Die verfluchte, grausame Wirklichkeit.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht fassen. Das ist doch alles nicht wahr. Meine Großeltern haben niemandem etwas getan. Wie kommen sie in die Särge?«
»Man hat sie getötet.«
»Wer?« schrie Kate.
»Es war vielleicht der Hund!«
Sie nickte und drehte sich plötzlich heftig um, bevor sie auf die Füße sprang. »Ich will hier raus, John. Verdammt, ich will hier raus! Ich kann nicht länger bei den Toten bleiben.«
»Das sollen Sie auch nicht.«
»Dann lassen Sie uns gehen – bitte.«
»Einen Moment noch. Ich will Sie etwas fragen, weil ich sichergehen möchte.«
»Was denn?« schluchzte sie.
»Sind die Toten Ihre Großeltern?«
»Ja!« Die Antwort klang sehr leidend.
»Sie sind sich dabei hundertprozentig sicher?« Ich mußte doch noch einmal nachhaken. Mittlerweile war ich zu der Überzeugung gelangt, in ein Komplott hineingeraten zu sein, mit dem Kate und ich allerdings nichts zu tun hatten.
»Hören Sie doch auf zu fragen. Wer soll es denn sonst gewesen sein, wenn nicht meine Großeltern?«
»Gut, wir gehen davon aus, daß man beide tatsächlich umgebracht hat. Nächste Frage: Wer hat vor ihnen in den beiden Särgen gelegen, und wo sind diese Toten jetzt?«
Kate Manderston starrte mich an. Im Licht der Gruft wirkte ihr Gesicht wie von dünnen Spinnennetzen überzogen. Sie mußte nachdenken, hob die Schultern und schaute zu Boden. »Ich bin überfragt«, sagte sie schließlich. »So genau habe ich darüber nicht nachgedacht.«
»Einen Teil der Antwort kann ich Ihnen geben, Kate. In diesen beiden Särgen haben ebenfalls Mitglieder der Familie Manderston gelegen. Als Tote, versteht sich.«
»Klar.«
»Kennen Sie die Namen?«
»Nein, ich weiß nicht so viel über meine Familie. Aber die Namen sind wohl in die Deckel eingraviert worden. Wenn Sie nachschauen wollen, John.«
Die Idee war gut. Leider entdeckte ich auf den Sarkophag-Deckeln keinerlei Hinweise. Es gab auch keine Tafeln an den Wänden. In der Gruft standen nur die Särge, für mich waren sie zu namenlosen Totenkisten degradiert worden.
»Meine Vorfahren«, sagte Kate, »hier sind nur meine Vorfahren beerdigt worden.«
»Und Ihre beiden Großeltern.« Ich ging wieder zu ihr. Sie hatte sich erhoben, lehnte neben der Treppe an der Wand und zitterte.
»Wer?« fragte sie flüsternd. »Wer kann so etwas getan haben?«
»Es sieht danach aus, als hätte sie der Hund getötet.«
»Gut – und dann?«
Ich hob die Schultern. »Jetzt müssen wir leider spekulieren. Wir können eigentlich davon ausgehen, daß es noch weitere Personen gibt, die sich in der Burg oder
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